Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
antwortete er, der Rauch verdeckte seine Lippen. Ich hörte nur:
»Håkan.«
Als Chris winkte, ich sollte wieder ins Bett kommen, wurde diese eine Tatsache zu zweien: Dass Håkan ihm das Gras gegeben hatte, bedeutete, dass Chris und Håkan sich ohne mein Wissen getroffen hatten. Und aus diesen zwei Tatsachen wurden vier. Sie mussten so weit befreundet sein, dass sie darüber sprachen, wie man an Gras kam, und sie mussten sich so nahestehen, dass Chris mit ihm über unsere Finanzen sprach, weil er kein Geld für Drogen hatte und ich es gemerkt hätte, wenn er an unser weniges Geld gegangen wäre. Also musste er Håkan, dem Mann, der uns unseren Hof wegnehmen wollte, von unserer Notlage erzählt haben. Ich war sicher, dass er Chris die Drogen nicht aus reiner Großherzigkeit geschenkt hatte, sondern als Belohnung für seine Indiskretion. Diese verstörenden Tatsachen vervielfältigten sich, sie gerieten außer Kontrolle, verschränkten und teilten sich und machten sich in meinen Gedanken breit, bis ich es in dem Zimmer nicht mehr aushielt, nicht mit dem Gestank von Håkans brennendem Gras in unserem Zuhause – auf unserem Hof!
Ich warf mir schnell ein paar Sachen über und rannte aus dem Haus, während Chris nackt auf der Schwelle stand und mir nachbrüllte:
»Komm zurück!«
Ich blieb nicht stehen, ich lief so schnell ich konnte, vorbei an der verlassenen Scheune, in der wir vorhin noch getanzt hatten, vorbei an Håkans Hof, an dem Einsiedlerhaus bis auf die Kuppe des Hügels, auf dem unsere Höfe verstreut lagen.
Die Hänge waren von Wildwiesen überzogen, oben wuchs dichter Wald. Als ich den Waldrand erreichte, ließ ich mich schweißgebadet ins lange Gras sacken, rang nach Atem und starrte auf die Umgebung, bis ich anfing zu zittern. In dem Moment entdeckte ich Scheinwerfer auf der Straße, nicht ein Paar, sondern zwei, nicht zwei, sondern jetzt drei, nicht drei, sondern vier Paar Scheinwerfer. Zuerst dachte ich, die Drogen würde mir etwas vorgaukeln, deshalb zählte ich noch einmal, es waren vier Autos direkt hintereinander, sie schlichen mitten in der Nacht durch ein Eckchen der Welt, an dem man normalerweise vielleicht vier Autos am ganzen Tag sah. Sie schlängelten sich über die schmale Landstraße, als wären sie miteinander verbunden, wie ein nächtliches Monster auf der Jagd nach Beute. Bei Håkans Einfahrt bogen sie ab und blieben in der Auffahrt stehen. Sie schalteten die Scheinwerfer aus. Die Welt lag wieder im Dunkeln. Dann flackerten nach und nach vier Taschenlampen auf, und der Schein einer fünften kam aus dem Haus, gesellte sich zu der Gruppe und übernahm die Führung. Die Menschen konnte ich nicht sehen, nur die Lichter, und ich beobachtete, wie sie im Gänsemarsch in Richtung Fluss liefen, nur kamen sie dort nicht an. Stattdessen verschwanden sie in dem Keller, der unterirdischen Holzwerkstatt. Fünf Lichter, die den Weg verlassen und mitten in der Nacht in einem Keller verschwinden, in dem es Trolle gibt und Messer und eine rätselhafte, verschlossene Tür …
M EIN HANDY KLINGELTE . Ich hatte es stumm geschaltet, aber auf dem Display erschien das Gesicht meines Dads. Das war sein erster Anruf, nachdem ich ihn abgewürgt hatte. Ich ließ das Handy auf dem Tisch liegen und sagte zu meiner Mum:
»Wenn du willst, ignoriere ich es.«
Geh ruhig dran. Melde dich. Ich weiß schon, was er sagen wird – er hat es sich anders überlegt. Er will nicht mehr in Schweden bleiben. Seine Koffer sind schon gepackt. Er kann sofort zum Flughafen fahren. Oder ist schon da, mit einem Ticket in der Hand.
I CH FAND ES VIEL WAHRSCHEINLICHER , dass mein Dad hören wollte, wie es uns ging. In Anbetracht der Lage war er sehr geduldig gewesen. Vor allem war es seine Idee gewesen, in Schweden zu bleiben und mir Luft zu lassen, damit ich mit Mum reden konnte. Ein Flug nach London wäre eine Provokation. Das hatte ich jetzt begriffen. Er hatte es selbst zugegeben. Er konnte ihr nicht helfen. Vor ihm würde sie weglaufen. Wenn er zu meiner Wohnung käme, würde sie versuchen zu fliehen.
Am Ende überlegte ich so lange, dass er auflegte. Meine Mum zeigte auf das Handy:
Ruf ihn zurück. Soll er beweisen, dass er ein Lügner ist. Er wird behaupten, er würde sich Sorgen machen, dass dich meine finsteren Anschuldigungen zu sehr belasten. Er wird dir die beruhigende Gewissheit bieten, dass es kein Verbrechen gab und keine Verschwörung, dass es keine Opfer gibt und die Polizei auch nicht ermitteln wird. Ich muss nur
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