Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Um mich herum herrschte Irrsinn, echter Irrsinn. Ich hatte schreckliche Angst. Ich wusste nicht, ob ich je wieder herauskommen würde. Diese Ärzte urteilten als Richter und Geschworene über mein Leben. Ich war nicht sicher, ob ich verständlich hätte reden können. Ich warf Englisch und Schwedisch durcheinander. Um kein wirres Zeug zu reden, schlug ich eine Alternative vor. Ich würde genau aufschreiben, was 1963 passiert ist, statt es zu erzählen, und sie konnten nach dem sorgfältigen Bericht entscheiden, ob dieser Vorfall in meiner Kindheit wichtig war.
Was du in den Händen hältst, ist die Geschichte, die ich an jenem Abend aufgeschrieben habe. Die Ärzte haben sie mir auf meine Bitte hin zurückgegeben, als ich die Anstalt verlassen habe. Ich glaube, sie haben eine Kopie für ihre Akten behalten, falls du es überprüfen willst, oder vielleicht ist das auch die Kopie …
Richtig, es war mir noch nicht aufgefallen, aber das ist die Kopie, das Original haben sie behalten.
Ich habe dir nie viel von meiner Kindheit erzählt. Deinen Großvater hast du nie kennengelernt. Deine Großmutter ist mittlerweile gestorben. In gewisser Weise hat sie für dich nie gelebt. Deshalb glaubst du vielleicht, dass ich keine glückliche Kindheit hatte. Na ja, das stimmt nicht – ich war glücklich, sehr sogar, viele Jahre lang. Im Herzen bin ich ein einfaches Kind vom Lande, das die Natur liebt. Ich hatte kein schlechtes Leben.
Im Sommer 1963 ist etwas passiert, das alles verändert hat. Es hat mein Leben zerstört und mich von meiner Familie entfremdet. Jetzt wird dieser Vorfall falsch dargestellt, damit meine Feinde mich einweisen lassen können. Um mich zu schützen, muss ich meine Vergangenheit vor dir ausbreiten. Meine Feinde haben eine bösartige Version der Ereignisse geschaffen, die so verstörend ist, dass du mich mit anderen Augen sehen wirst, wenn du sie hörst. Und wenn du irgendwann selbst ein Kind hast, wirst du es nie allein mit mir lassen.
I CH KONNTE MIR NICHT VORSTELLEN , was so schrecklich sein sollte, dass ich meine Mum nicht mehr wiedererkennen würde, ganz zu schweigen davon, ihr niemals ein Kind anvertrauen zu können. Aber ich musste eingestehen, dass ich kaum etwas über ihre Kindheit wusste. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie mal den Sommer 1963 erwähnt hätte. Beklommen schlug ich die Mappe auf. Darin lagen ein Begleitschreiben von meiner Mum und der eigentliche Text.
»Soll ich das jetzt lesen?«
Meine Mum nickte.
»Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dass du es erfährst.«
Sehr geehrte Herren Doktoren,
Sie werden sich fragen, warum ich auf Englisch statt auf Schwedisch schreibe. Während meiner Jahre im Ausland ist mein Schwedisch ein wenig verkümmert. Ich habe die Schule mit sechzehn Jahren verlassen und meine Muttersprache seitdem kaum benutzt. Dagegen habe ich intensiv Englisch gelernt und durch die Lektüre von Büchern meinen Wortschatz nach und nach verbessert. Wenn ich auf Englisch schreibe, heißt das nicht, dass ich etwas gegen Schweden hätte. Oder dass ich mein Heimatland nicht liebe.
Ich möchte festhalten, dass ich selbst nicht das Bedürfnis habe, über meine Kindheit zu reden. Dieses Thema ist ein zynischer Versuch, von den wahren Verbrechen abzulenken. Die Vergangenheit steht in keinerlei Verbindung zur Gegenwart, aber ich weiß, dass Sie das glauben werden, wenn ich es abstreite.
Meine Feinde haben einen Vorfall beschrieben, der sich im Sommer 1963 ereignet hat. Sie hoffen, dass ich in dieser Anstalt festgehalten werde, bis ich meine Anschuldigungen gegen sie zurückziehe oder bis sie belanglos sind, weil meine Glaubwürdigkeit untergraben wurde. Einige Teile ihrer Geschichte sind wahr, das gebe ich zu. Ich kann nicht behaupten, alles sei gelogen. Der Ort, die Namen und Daten stimmen. Aber genauso wenig, wie ich mit jemandem befreundet bin, der sich in einem vollen Zug an mir vorbeidrängt und mich kurz an der Schulter berührt, ist ihre Geschichte die Wahrheit, nur weil sie sich in einigen Punkten mit den wahren Ereignissen deckt.
Gleich werden Sie lesen, was wirklich geschehen ist. Allerdings sind diese Erinnerungen mehr als fünfzig Jahre alt, und ich kann nicht Wort für Wort wiederholen, was damals gesagt wurde. Vielleicht schließen Sie daraus, dass die Dialoge erfunden sind, und zweifeln an meinem ganzen Bericht. Ich räume schon im Vorfeld ein, dass die Dialoge nur grob die Stimmung der Gespräche wiedergeben sollen, denn die genauen Worte sind für
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