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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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mir die anderen Kinder aus dem Weg.

    An einem der ersten heißen Tage des nächsten Sommers ertrank Freja im See, nicht weit von der Stelle entfernt, an der wir unter dem Baumstamm untergeschlüpft waren. Weil ich an diesem Tag auch im See geschwommen war, gab es Gerüchte, ich hätte etwas damit zu tun. Die Kinder in der Schule behaupteten, ich hätte sie getötet. Sie fanden es verdächtig, dass ich kein Alibi hatte. Diese Geschichten wurden von Hof zu Hof getragen.

    Bis heute bin ich nicht sicher, ob meine Eltern glaubten, dass ich unschuldig war. Sie fragten sich auch, ob ich an diesem heißen Sommertag nicht vielleicht zufällig Freja begegnet war. Vielleicht hatten wir uns ja gezankt, sie hatte mich im Streit als verrückt beschimpft, und ich war daraufhin so wütend geworden, dass ich ihren Kopf unter Wasser gedrückt und sie festgehalten hatte, ich hatte sie festgehalten und festgehalten und festgehalten, bis sie keine Lügen mehr über mich verbreiten konnte.

    Die Tage danach waren die schlimmsten meines Lebens. Ich hockte oben in dem großen Baum, starrte zu Frejas Hof hinüber und überlegte, ob ich springen sollte. Ich zählte alle Äste, durch die ich brechen würde. Ich malte mir aus, wie ich zerschunden am Fuß des Baums liegen würde. Ich starrte auf den Boden und sagte immer wieder:
    Hallo da unten.
    Hallo da unten.
    Hallo da unten.
    Aber wenn ich mich umgebracht hätte, wären alle sicher gewesen, dass ich Freja ermordet hatte.
    Als ich sechzehn wurde, verließ ich an meinem Geburtstag um fünf Uhr morgens den Hof. Ich verließ meine Eltern. Und ich verließ diesen Teil Schwedens für immer. Ich konnte nicht an einem Ort leben, an dem mir niemand glaubte. Wo jeder dachte, ich hätte ein Verbrechen begangen. Ich nahm das wenige Geld, das ich gespart hatte, und strampelte so schnell ich konnte zur Bushaltestelle. Ich warf das Fahrrad ins Feld, fuhr mit dem Bus in die Stadt und kehrte nie wieder zurück.

    Mit freundlichen Grüßen
    Tilde

O BWOHL ICH DAS ENDE ERREICHT hatte, hielt ich die Blätter weiter fest und tat, als würde ich lesen, um noch einen Moment meine Gedanken zu ordnen. In keiner Phase meines Lebens hatte ich in meiner Mum das einsame junge Mädchen aus dieser Beschreibung erahnt, das sich nach der Zuneigung von wenigstens einer Freundin sehnte. Ich war so wenig neugierig gewesen, dass sich mir jetzt die Frage stellte:
    Kenne ich meine Eltern überhaupt?
    In meine Beziehung zu ihnen hatte sich mit der Zeit Nachlässigkeit geschlichen. Ich kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, dass Mum und Dad mir schwierige Dinge nie erzählt hatten. Sie hatten die Vergangenheit hinter sich lassen und sich ein glücklicheres Leben aufbauen wollen. Vielleicht hatte ich mir selbst eingeredet, es stünde mir nicht zu, schmerzliche Erinnerungen aufzuwühlen. Dabei war ich ihr Sohn, ihr einziges Kind – der einzige Mensch, der hätte fragen können. Ich hatte Gewohnheit für Verstehen gehalten und geglaubt, die gemeinsam verbrachten Stunden wären ein Maßstab dafür, wie gut ich sie kannte. Und schlimmer noch, ich hatte es mir bequem gemacht, ohne nachzufragen, hatte in Zufriedenheit geschwelgt, ohne je zu ergründen, warum meine Eltern so anders leben wollten als ihre eigenen Familien.
    Meine Mum durchschaute meine Tricks, sie hatte gemerkt, dass ich nicht mehr las. Sie legte mir eine Hand unter das Kinn und drückte meinen Kopf sanft nach oben, bis sich unsere Blicke trafen. In ihren Augen las ich Entschlossenheit. Das war nicht das verlorene junge Mädchen, über das ich gerade gelesen hatte.
    Du willst mich etwas fragen, etwas, das jedem Sohn bei seiner Mutter schwerfallen würde. Aber ich werde dir die Antwort nicht geben, wenn du die Frage nicht stellst. Du musst sie aussprechen. Du musst den Mut haben, mir in die Augen zu sehen und mich zu fragen, ob ich Freja getötet habe.

M EINE MUM HATTE RECHT . Ich wollte ihr diese Frage stellen. Beim Lesen hatte ich mich gefragt, was an jenem Tag im See passiert war. Man konnte sich eine zufällige Begegnung leicht ausmalen – meine Mum, die nach der jahrelangen Arbeit auf dem Hof körperlich stark war, und die hübsche, schwächere Freja aus der Stadt. Ihre Wege hatten sich gekreuzt. Nach den einsamen, qualvollen Monaten hatte meine Mum vor Wut die Beherrschung verloren, ihre frühere Freundin geschüttelt und sie mit dem Kopf unter die Wasseroberfläche gedrückt, weil die Demütigungen und die Schande zu groß waren. Nachdem sie sich ein wenig

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