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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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beruhigt hatte, war meine Mum beschämt zum Ufer zurückgeschwommen, hatte sich umgedreht und gesehen, dass Freja nicht wieder aufgetaucht war – dass sie bewusstlos unter der Oberfläche trieb. Meine Mum war hektisch zurückgeschwommen und hatte versucht, sie zu retten, aber es war vergeblich. Dann war sie in Panik geraten und geflohen und hatte ihre tote Freundin im See treiben lassen.
    »Hattest du etwas mit Frejas Tod zu tun?«
    Meine Mum schüttelte den Kopf:
    »Frag richtig. Habe ich Freja getötet? Frag es!«
    Sie wiederholte es immer wieder:
    »Habe ich Freja getötet? Habe ich Freja getötet? Habe ich Freja getötet?«
    Sie drängte mich, jedes Mal, wenn sie den Namen aussprach, klopfte sie mit den Knöcheln auf den Tisch. Es war verstörend. Ich hielt es nicht mehr länger aus. Bevor sie wieder auf den Tisch klopfte, packte ich ihre Faust, so dass der Schwung ihres Schlags in meinen Arm fuhr. Ich fragte sie:
    »Hast du sie getötet?«
    Nein, habe ich nicht.
    Du kannst in jede Schule gehen, irgendwo auf der Welt, und du wirst immer ein unglückliches Kind finden. Über dieses unglückliche Kind werden bösartige Gerüchte die Runde machen. Zum großen Teil werden sie aus Lügen bestehen. Aber dass es Lügen sind, ist egal, denn wenn dein Umfeld diese Lügen glaubt, sie wiederholt, werden sie wahr – für dich und für andere. Du kannst ihnen nicht entkommen, weil es nicht um Beweise geht, sondern um Gehässigkeit, und Gehässigkeit braucht keine Beweise. Dem kannst du nur entkommen, wenn du dich in dein Schneckenhaus verkriechst, wenn du in deinen Gedanken und Fantasien lebst, doch auch das funktioniert nur für eine gewisse Zeit. Man kann die Welt nicht ewig aussperren. Wenn sie die Mauer durchbricht, musst du wirklich fliehen – du packst deine Sachen und läufst weg.
    Im Nachhinein glaube ich, dass Freja verstört war. Ihre Mutter war tot. Ihr ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden. Nachdem sie unsere Freundschaft verraten hatte, ließ sie sich auf eine Affäre mit einem jungen Mann ein, einem Feldarbeiter von einem der größeren Höfe. Es gab Gerüchte, dass sie schwanger war. Eine Zeitlang kam sie nicht zur Schule. Die Leute witterten einen Skandal. Frag mich nicht, ob es stimmte. Ich weiß es nicht. Mir war egal, was die Leute über sie redeten. Ich weinte, als Freja starb. Mehr als alle anderen. Ich weinte, obwohl sie mich verraten hatte, obwohl sie sich von mir abgewandt hatte. Ich könnte noch heute weinen, so lieb hatte ich sie.
    Jetzt kennst du die Wahrheit über den Sommer 1963, und du musst begreifen, dass diese Ereignisse nichts mit den Verbrechen in diesem Sommer zu tun haben. Zwischen ihnen besteht keine Verbindung. Wir reden hier über andere Menschen an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit.

D IESE GEHEIMNISVOLLEN ANSPIELUNGEN auf »Verbrechen« waren frustrierend, also hakte ich sofort nach:
    »Ist Mia tot?«
    Meine Mum stutzte. Bis jetzt hatte sie bestimmt, was ich erfuhr. Ich hatte mich brav gefügt. Das war vorbei: Ich wollte wissen, worauf es hinauslief, bevor wir weiterredeten. Ihr zurückhaltendes, ausweichendes Erzählen hatte ich ihr zu lange durchgehen lassen. Meine Mum fragte:
    »Was dachtest du denn, worum es hier geht?«
    »Keine Ahnung, Mum. Du redest die ganze Zeit über Verbrechen und Verschwörungen, aber du sagst nicht, was passiert ist.«
    »Wer chronologisch erzählt, ist klar im Kopf.«
    Sie sagte das, als sei es eine allgemein akzeptierte Weisheit.
    »Was soll das denn bedeuten?«
    »Wenn du vor und zurück springst, zweifeln die Leute nach einer Weile an deinem Verstand. Das ist mir schon passiert! Am besten man fängt vorne bei der Geschichte an und hält sich an den genauen Ablauf der Ereignisse. Wer chronologisch erzählt, ist auch klar im Kopf.«
    Meine Mum beschrieb geistige Gesundheit wie einen altmodischen Test bei einer Verkehrskontrolle, bei dem eventuell betrunkene Fahrer auf einer Linie laufen sollten.
    »Das verstehe ich, Mum. Du kannst mir alles erzählen, wie du willst. Aber vorher muss ich wissen, worüber wir reden. Sag es mir in einem Satz. Dann höre ich mir die Einzelheiten an.«
    »Du wirst es mir nicht glauben.«
    Es war riskant, so direkt zu sein. Ich war nicht sicher, ob meine Mum nicht gehen würde, wenn ich sie zu sehr drängte. Leicht beklommen sagte ich:
    »Wenn du es mir jetzt sagst, verspreche ich, dass ich mir keine Meinung bilde, bevor ich die ganze Geschichte gehört habe.«
    Ich merke schon, dass du immer noch glaubst, in

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