Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
alles okay.«
»Überlass das Hotel mir. Ich rufe dich gleich an.«
Er legte auf.
Im Gegensatz zu meiner Mum, die es so eilig hatte, bewegte ich mich, als hätte ich ein Glas zu viel getrunken. Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen, oder sollte ich lieber langsam machen, damit mein Dad uns einholen konnte? Nach dem Gespräch mit Mark kamen meine Zweifel zurück, ob ich der Lage wirklich gewachsen war. Ein Hotelzimmer war eine naheliegende Lösung, aber mir war sie nicht eingefallen. Und selbst wenn, hätte ich das Zimmer nicht bezahlen können. Vielleicht konnte mein Dad helfen. Wenn meine Mum krank war, wusste er mehr darüber als sonst jemand. Andererseits hatte mein kurzer Blick auf den Artikel keinen Beweis geliefert, dass meine Mum unter Wahnvorstellungen litt. Außerdem verstand ich nicht, warum mein Dad nicht vom Flughafen aus angerufen hatte. In ein paar Minuten konnte es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommen. Wenn ich zuließ, dass Dad uns einholte, würde ich meine Mum verraten, ich würde mich allem versperren, was sie erzählt hatte. Ob ich es wollte oder nicht, die Verantwortung lag bei mir. Solange jeder Beweis fehlte, dass die Geschichte meiner Mutter nicht stimmte, würde ich ihr einfach glauben. Vorhin hatte sie gesagt, den Menschen, die man liebt, müsse man glauben. Und jetzt bat sie um einen ruhigen Ort und genug Zeit, um mir zu erzählen, was weiter mit Mia passiert war. Das konnte ich ihr nicht verweigern.
Am Fuß der Treppe holte ich sie ein:
»Warte.«
Sie blieb stehen. Ich rief bei einem Taxiunternehmen in der Nähe an. Ohne den Namen eines Hotels zu haben, sagte ich, wir wollten in die Innenstadt fahren. Sie schickten sofort einen Wagen los. Meine Mum spähte währenddessen auf Zehenspitzen durch ein kleines Fenster in den Hausflur. Als sie dort niemanden sah, beschloss sie:
»Wir bleiben hier, bis der Taxifahrer anruft. Ich will nicht auf der Straße warten.«
Wenige Minuten später meldete sich der Taxifahrer, wir schoben uns in den Flur und schlichen verstohlen aus dem Haus. Zwischen meinem Wohnblock und dem Tor zur Straße lag eine freie Fläche. Wir waren ungeschützt; falls mein Dad jetzt kommen sollte, konnten wir uns nirgendwo verstecken. Ich spürte, welche enorme Anspannung sogar diese kurze Strecke bei meiner Mum auslöste. Wir waren beide erleichtert, als wir es bis zum Taxi geschafft hatten, doch bevor ich etwas vorschlagen konnte, beugte meine Mum sich vor und bat den Fahrer:
»Fahren Sie bis zum Ende der Straße und halten da.«
Der Fahrer sah mich fragend an. Die Bitte überraschte mich, aber ich nickte. Meine Mum flüsterte mir zu:
»Warum musste er sich das von dir bestätigen lassen? Nicht, weil er wüsste, dass jemand an meinem Geisteszustand zweifelt, das kann er gar nicht wissen. Warum dann? Ich werde es dir sagen. Weil ich eine Frau bin.«
Der Fahrer hielt am Ende der schmalen Seitenstraße, die von meinem Wohnhaus zur Hauptstraße führte. Ich wandte ein, er hätte mich vielleicht nur angesehen, weil er ihre Bitte seltsam fand. Das ließ sie nicht gelten:
»Sie ist nicht seltsam. Ich will, dass du ihn kommen siehst.«
»Wen?«
»Deinen Vater.«
»Willst du etwa hier warten, bis Dad auftaucht?«
»Es ist wichtig, dass du ihn mit eigenen Augen siehst. Du klammerst dich noch an deine Erinnerung von Chris als ganz normalem Menschen. Das hält dich zurück. Aber er ist nicht mehr derselbe. Das wirst du sogar von hier aus sehen. Näher am Haus zu bleiben wäre zu riskant. Wenn du ihn siehst, verstehst du, was ich meine.«
Behutsam erklärte ich unserem mittlerweile etwas unruhigen Taxifahrer unsere besonderen Wünsche. Wir würden ihm die Zeit bezahlen. Eine Weile würden wir noch hier stehen, dann würden wir losfahren. Meine Mum fügte hinzu:
»Sobald wir es sagen.«
Unser Fahrer musterte uns eingehend. Mit Sicherheit hatte er schon viele eigenartige und dubiose Bitten von Fahrgästen gehört. Er rief bei der Taxizentrale an, die für mich bürgte. Nachdem wir uns auf den Preis geeinigt hatten, vertiefte er sich in seine Zeitung.
Im Freien, außerhalb der Wohnung, benahm sich meine Mum vollkommen anders. Sie redete nur, wenn sie einen Befehl oder Anweisungen geben wollte. Sie war angespannt, die ganze Zeit über, drehte sich auf ihrem Sitz herum und starrte durch die Heckscheibe zur Einfahrt, vor der das Taxi halten würde. Ein Gespräch mit ihr war nicht möglich. Fast schweigend beobachteten wir mein Haus.
Mein Handy klingelte.
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