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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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ausnahmslos. Einige sprachen mich bei meinen Besuchen an und schimpften mich aus, weil ich den Mord an Mia nicht aufklärte.
    So vergingen Tage und Wochen. Manchmal besuchte ich sie allein, manchmal mit Dad, gelegentlich mit Mark. Er wartete immer draußen, weil er es unpassend gefunden hätte, meine Mum in diesem Zustand zu sehen, bevor sie wusste, wer er war oder warum er mich begleitete. Anfangs waren wir optimistisch. Meine Mum würde gesund werden, und wir würden als Familie wieder enger zusammenwachsen. Die Kluft zwischen uns würde sich schließen. Aber für meine Mutter gab es nach meinem Verrat kein Zurück. Nur langsam wurde mir klar, dass sie bei dieser Haltung bleiben würde, was mich unendlich traurig stimmte.
    Als ich eines Tages im Spätherbst im Besuchszimmer auf und ab lief und mir Sorgen machte, weil sich die Jahreszeiten änderten, aber nicht der Zustand meiner Mum, sagte ich spontan:
    »Ich fahre nach Schweden. Ich werde die Wahrheit selbst herausfinden.«
    Ein einziges Mal reagierte meine Mum. Sie drehte sich um, sah mich unverwandt an und versuchte einzuschätzen, ob es mir ernst war. Einen Moment lang sah sie mich so an wie damals am Flughafen – mit Hoffnung in ihren Augen. Einen Moment lang war ich wieder ihr Sohn. Dann hob sie einen Finger an die Lippen, als wollte sie mir zeigen, ich sollte still sein. Ich hockte mich neben sie und fragte:
    »Was soll das bedeuten?«
    Sie öffnete leicht die Lippen, um etwas zu sagen. Ich sah, dass ihre Zungenspitze schwarz war. Dann veränderte sie sich. Sie glaubte nicht, dass meine Frage ernst gemeint war, und schloss den Mund.
    »Mum, bitte. Rede mit mir.«
    Aber sie wollte nicht. Das zeigte wieder, wie scharf ihre Beobachtungsgabe war, trotz ihrer Krankheit. Ich hatte nicht ernsthaft vorgehabt, nach Schweden zu fliegen, als ich damit herausgeplatzt war. Bis dahin hatte ich mich auf die Ärzte, die Therapie und die Behandlung konzentriert.
    Später besprach ich diese Idee mit meinem Dad und Mark. Ihr Kennenlernen war unter diesen traurigen Umständen ganz unspektakulär verlaufen. Sie hatten sich die Hand gegeben, als hätten sie gerade ein Geschäft abgeschlossen. Mein Dad hatte ihm für seine Hilfe gedankt. Als wir allein waren, hatte mein Dad sich entschuldigt, falls er durch irgendwas den Eindruck erweckt hatte, er hätte mich nicht so akzeptiert, wie ich war. Seine Worte trafen mich tief, und ich schüttelte den Kopf und sagte, mir würde es leidtun. Er war aufgewühlt, nicht, weil er es jetzt wusste, sondern wegen der langen Heimlichtuerei, genau wie ich es geahnt hatte. So traurig die Umstände auch waren, wenigstens hatte er endlich Mark kennengelernt. Ich musste nicht mehr lügen. Aber ohne Mum konnte das keiner von uns recht feiern. Wir konnten uns überhaupt nicht vorstellen, etwas als Familie ohne sie zu feiern. Weder Mark noch mein Dad hielten es für eine gute Idee, nach Schweden zu fliegen. Es gab kein Geheimnis, das aufgedeckt werden musste. Mia war ein unglückliches junges Mädchen, das von zu Hause weggelaufen war. In Schweden würde ich mich nur in eine unmögliche Suche verstricken, die mich von der eigentlichen Aufgabe ablenkte – meine Mum davon zu überzeugen, die Medikamente und die Therapie anzunehmen. Schlimmer noch, es würde ihre Wahnvorstellungen bedienen, statt sie zu bekämpfen, und würde vielleicht eher schaden als nutzen. Ich vergaß die Idee, oder besser gesagt erwähnte ich sie nicht mehr, denn insgeheim fing ich an, wieder Schwedisch zu lernen, verbrachte Stunden mit meinen alten Lehrbüchern, ging die Vokabellisten durch und polierte die Sprache wieder auf, die ich als Kind fließend gesprochen hatte.
    Kurz vor der dunkelsten Nacht des Jahres dachten die Ärzte über die Möglichkeit nach, meine Mum intravenös zu ernähren, und klärten uns über die juristische und moralische Tragweite eines solchen Eingriffs auf. Nachdem es schon so weit gekommen war, erklärte ich, dass ich nach Schweden fliegen wolle. Mark dachte, ich wollte die Augen vor der Realität verschließen und vor den Problemen weglaufen, wie es ganz typisch für mich war. Mein Dad war über den schlechten Gesundheitszustand meiner Mum so verzweifelt, dass er nicht mehr dagegen war, er war bereit, jede Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ich wollte herausfinden, was mit Mia passiert war. Egal, wie die Wahrheit aussah, meine Mum würde vielleicht wieder ansprechbar sein, wenn ich mit neuen Informationen zurückkam. Neue Beweise wären das Einzige,

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