Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Himmelspforte, an die sie nun mal glaubte, eingelassen zu werden. Meine Eltern waren gutgläubig genug, das als Buße und Reue zu verstehen. Na gut, sie hatte ihnen auch zwanzigtausend Mark hinterlassen.
»Du, Jürgen, wir haben hier Vorfahrt.«
Wie es aussah, war meine Mutter noch immer eine sehr engagierte Beifahrerin.
»Ich weiß, Gisela, ich weiß.« Mein Vater hörte sich ziemlich gereizt an, aber sie hatte das Talent, dies zu ignorieren.
»Schau mal, Jürgen, da drüben ist ein Parkplatz.«
»Ich weiß!«
Früher hatte ich mir wenigstens die Kopfhörer meines Walkmans überstülpen und bei A C / DC oder Pink Floyd entspannen können. Ich sollte mir so etwas wieder kaufen. Aber die hießen heute irgendwie anders, nicht mehr Walk man, nur hatte ich vergessen, wie. Wenn ich in einen Media Markt gehen und nach einem Walkman fragen würde, wäre das wahrscheinlich bei den Verkäufern ein Schenkelklopfer, den sie sich später beim Kantinenessen erzählen konnten.
Ach, jetzt fiel es mir ein: MP 3-Player. Bei Gelegenheit musste ich mir so ein Ding kaufen. Ich vermisste die Musik.
Meine Mutter ging eiligen Schrittes voran, dahinter schlurfte mein Vater, und als Letzte ich. Markus lag mit noch zwei anderen Männern in einem großen Zimmer. Sein Arm wurde mit einer riesigen Schiene gestützt, und sein Bein steckte in einem Gips, der bis zum Knie reichte. Als er uns sah, warf er unserer Mutter einen besorgten Blick zu. Sie war mit solchen Situationen völlig überfordert. Nicht selten war uns ihr dramatisches Verhalten äußerst peinlich. Markus befürchtete wahrscheinlich, sie könnte lauthals anfangen zu heulen und sich auf sein Bett werfen, die Arme in die Luft strecken und rufen: »Warum gerade du?!« Aber so weit kam es dann doch nicht. Sie holte ein Papiertaschentuch aus der Manteltasche, betupfte sich die Augen und warf Markus vor, dass sie ihm doch schon immer gesagt hätte, er solle nicht zwei Stufen auf einmal nehmen.
»Hab ich ja nicht!« Mein Bruder klang gereizt. »Auf der Treppe war ein Ölfleck, von diesem Scheißnachbarn, der immer einen tropfenden Müllsack hat.«
»Was sind denn das für Ausdrücke«, mahnte unsere Mutter.
»Und darauf bin ich ausgerutscht und dann die Treppe runtergefallen.«
Ich reichte Markus ein Päckchen Erdnüsse, das ich mitgebracht hatte, und er nahm sich eine Handvoll. Für Erd nüsse hatten wir beide schon immer eine Schwäche gehabt. »Aber das war noch nicht das Schlimmste«, fuhr er fort, während er die Nüsse kaute, »denn wer hat mich gefunden? Die neue Nachbarin!«
»Die große Blonde mit dem strammen Hintern?«, fragte ich.
Meine Eltern warfen sich erstaunte Blicke zu. Markus hatte mir nebenbei von ihr erzählt. Zumindest hatte er geglaubt, es nebenbei zu tun. Es war jedoch offensichtlich, dass er sie anziehend fand. Männer waren wirklich entsetzlich schlecht im Vertuschen. »Genau die«, fuhr Markus fort. »Sie kommt die Treppen hoch, und da liege ich. Zerrissene Hose, Brille verbogen und verdrehte Gliedmaßen.«
»Muss lustig ausgesehen haben«, warf ich ein und nahm mir eine Erdnuss aus der Tüte.
»Geh, Kind. Das ist doch nicht lustig.« Meine Mutter schüttelte den Kopf über mich, wie damals, als ich in der Kirche nicht stillsitzen konnte.
Markus räusperte sich und warf uns einen erschöpften Blick zu. »Jedenfalls hat sie angefangen zu schreien, und dann ist der Nasser-Müllsack-Nachbar rausgekommen und hat den Notarzt gerufen.«
»Das war doch sehr nett von ihm«, bemerkte unser Vater wohlwollend.
»Die Blonde wollte unbedingt bei mir bleiben und meine Hand halten, bis der Rettungswagen kommt.«
Ich hörte auf zu kauen. »Und was ist dann passiert?«
»Der Idiot hat gesagt, sie könne ruhig gehen. Er hat sie regelrecht weggescheucht. Er würde schon bei mir bleiben, hat er ihr versichert. Und dann …« Markus sah aus, als würde er jeden Augenblick anfangen zu weinen. Ungläubig starrten wir drei ihn an. »… dann hat er sich über mich gebeugt, mit seinem speckigen Morgenmantel und seinem ungepflegten Gesicht …«
»Hat er dich geküsst?«, fragte unser Vater.
Markus wandte ruckartig den Kopf in seine Richtung. »Was? Wie kommst du denn darauf? Er hat nur – mein Gesicht gestreichelt.«
»Na ja, das ist auch nicht viel besser«, stellte unsere Mutter fest.
»Wenn das nicht beschissen gelaufen ist«, warf ich ein, um auch etwas zu sagen.
Die Tür ging auf, und Markus bekam sein Mittagessen. Kohlrouladen und Kartoffelpüree. Unsere
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