Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Das Essen wird kalt.« Es fühlte sich an, als wäre ich wieder zehn Jahre alt.
»Ich sehe mir eine Wohnung an, weiß nicht, wann ich heimkomme.«
»Um diese Zeit?«, rief sie schrill durch den Hörer.
»Ja. Hat sich so ergeben.«
»Na, du hast es aber eilig, von uns wegzukommen. Jürgen, du hast auf den Boden getropft! Wisch das bitte auf, ja? Also, wann bist du ungefähr da?«
Langsam war ich genervt. »Ich hab doch gesagt, keine Ahnung. Ich kann mir das Essen doch auch selber warm machen.«
»Ja, aber das alleine ist es doch nicht. Dann muss ich den Tisch abräumen und abspülen und das Geschirr wegräumen. Ich mag das nicht erst um zehn Uhr abends machen.«
»Aber das kann ich doch genauso gut ma…«
»Nein!«, kam es mit großer Entschiedenheit zurück, »du stellst das Geschirr immer falsch in die Schränke, so etwas kann ich nicht leiden. Das macht mich verrückt.«
Für einen Augenblick rang ich nach Worten. Was verlangte sie jetzt von mir? »Und jetzt?«
»Wann bist du also zu Hause?«
Entweder sie spann oder ich. »Spätestens um zehn, schätze ich.«
»Na gut, solange das nicht zur Gewohnheit wird.«
Vielleicht konnte ich morgen schon in diese WG einziehen – oder am besten heute Abend noch.
Antje umarmte mich, dann trat sie einen Schritt zurück und sah mich mit ihren großen braunen Augen an. Antje war einen ganzen Kopf kleiner als ich, was bei meinen eins achtzig nicht ungewöhnlich war. Sie war korpulent, aber nicht dick. Ihr Körper war straff und sehnig. Ihr größter Komplex waren immer ihre leichten O-Beine, die aber nicht so sehr auffielen, wie sie sich einredete. Zurzeit trug sie ihre Haare in rötlichem Braun. Während sie die Farbe häufig wechselte, blieb ihre Frisur stets gleich, mittellang und fransig. Antje war insgesamt ein unscheinbarer Typ, aber sie hatte ein schönes Gesicht; fein geschnittene Züge, hohe Wangenknochen und ein geschwungener Mund, den sie mit einem apricotfarbenen Lippenstift betonte – das einzige Make-up, das sie trug. »Du siehst blass aus«, meinte sie.
»So fühle ich mich auch.«
»Kann man sich denn blass fühlen?« Sie lächelte.
»Offenbar schon.«
Sie strich mir übers Gesicht, dann gingen wir in Richtung des nördlichen Ausgangs. »Es sind nur zehn Minuten zu Fuß«, sagte sie, »in der entgegengesetzten Richtung deiner Eltern.« Sie grinste. Als wir in die Kälte traten und nebeneinander her gingen, sagte Antje: »Ich weiß auch nicht, Lyn, aber manchmal denke ich, man kann niemandem mehr trauen. Von Christoph hätte ich das wirklich nicht gedacht.«
»Hmhm.«
»Was hat er denn genau gesagt?«
Ich erzählte ihr das Ganze nun in der längeren Version. Sie hörte schweigend zu, warf mir hin und wieder einen Seitenblick zu oder schüttelte den Kopf.
»Bist du sicher, dass da keine andere Frau im Spiel ist? Versteh mich nicht falsch, du kennst ihn am besten, aber das alles kommt doch recht plötzlich. Vielleicht hat er jetzt eine Entscheidung getroffen und sich für die andere entschieden.«
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Was mich ebenso stutzig macht, ist, dass du vor ein paar Wochen gesagt hast, dass er tagsüber öfter Termine hätte. Du hast das nur nebenbei erwähnt, aber ich habe mich heute wieder daran erinnert. Arzttermine, Baumarktbesuche, Sport … War es nicht so?«
»Doch, ja. Aber solche Phasen von alleinigen Unternehmungen sind früher auch schon vorgekommen.«
»Okay, wie du meinst. Ich will dich nicht beeinflussen.«
Ich zog meinen Mantelkragen hoch, wusste nicht, ob ich wegen der Kälte oder der Vorstellung fror, Christoph könnte mich betrogen haben.
»Löwe-Männer habe ich immer gemieden – die sind schwierig.« Antje hatte mit fünfzehn die Astrologie entdeckt. Früher beschäftigte sie sich geradezu fanatisch damit. Als sie anfing, Menschen nach ihrem Sternzeichen zu beurteilen, hatte ich sie schließlich darauf hingewiesen, dass ihr Interesse langsam üble Ausmaße annahm. Heute war es nur noch ein nettes Hobby für sie, aber hin und wieder wurde sie doch von ihren Vorurteilen überwältigt. Ihre Söhne waren geplant gewesen und alle im Sternzeichen Zwillinge geboren, weil das am besten zu ihr als Waage passte, neben Wassermann, was ich war. »Deshalb verstehen wir uns auch so gut«, hatte sie einmal gesagt. Mir schrieb sie nur gute Eigenschaften zu: Ich war angeblich eine freiheitsliebende und unabhängige Frau, die die Menschen liebte. Ich sei originell und kreativ und hätte das Bedürfnis, eine Mission
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