Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Mutter fühlte sich berufen, seine Kohlroulade klein zu schneiden und ihm ein Kissen hinter den Rücken zu stecken. Er warf mir einen hilflosen Seitenblick zu. »Jetzt iss was«, sagte sie zu Markus. »Aber das geht schlecht mit der linken Hand, gell? Komm, ich füttere dich.«
»Jetzt ist aber gut, Mutter«, zischte er.
Ein paar Minuten spielte sie die Beleidigte, dann meinte Markus, dass er müde sei und wir gehen sollten.
»Kann ich noch kurz bleiben und etwas mit dir besprechen?«, fragte ich.
Er nickte.
»Was denn?«, wollte unsere Mutter wissen.
»Nichts Besonderes.«
»So, so. Aber doch so besonders, dass man ein kleines Ge heimnis daraus macht, gell?«
»Ach, Quatsch«, winkte ich ab.
Als unsere Eltern durch die Tür verschwunden waren, sah Markus mich an und sagte: »Die beiden können schon manchmal schwierig sein.«
Ich nickte und seufzte. »Dasselbe sagen sie vielleicht über uns.«
»Hör mal, das mit Christoph ist wirklich …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Also das ist echt …«
»Schlecht?«
»Ja, genau.«
Wir grinsten uns an, dann nickte ich traurig. Es schnürte mir jedes Mal die Kehle zu, wenn ich unmittelbar mit dem konfrontiert wurde, was passiert war.
»Markus, ich muss dich etwas fragen. Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, und ich wollte eigentlich erst in den nächsten Tagen mit dir darüber sprechen.«
»Worum geht’s?«
»Ich mach’s kurz: Du liegst hilflos da, in einer schrecklichen Situation, und ich sitze hier und pumpe dich an.«
»Wie viel brauchst du denn?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Tausend Euro. Ich muss unbedingt aus dem Kinderzimmer raus. Ich hab Geld, aber meine Papiere, Sparbuch und der ganze Krempel sind noch bei Christoph. Das muss ich alles erst noch holen.«
»Ist doch kein Problem. Dafür ist Familie doch da, oder?«
Ich runzelte die Stirn. »Um Geld zu verleihen?«
»Falsch formuliert. Um sich zu unterstützen und sich aufeinander verlassen zu können.«
Markus beugte sich auf die rechte Seite, aber sein gebrochener Arm war ihm im Weg. »Kannst du mal die Schublade aufmachen? Da ist mein Geldbeutel drin.«
»Du hast so viel Geld dabei?«
Er warf mir einen verwirrten Blick zu. »Natürlich nicht. Was denkst du, was ich bin? Profikiller?«
Ich nahm den Geldbeutel aus der Schublade und reichte ihn Markus. Umständlich zog er seine Bankkarte aus dem Schlitz, reichte sie mir und nannte mir seine PIN -Nummer.
Die nächsten Tage verbrachte ich in einer Art Trancezustand. Wahrscheinlich hatte ein Verdrängungsmechanismus eingesetzt. Zu verdrängen gab es einiges: dass ich wieder in meinem Kinderzimmer wohnte; dass ich mir von meiner Familie erst einmal Geld leihen musste, um von dort wegzukommen. Meine Mutter machte mir meine Lage nicht gerade erträglicher. Ihre gut gemeinten Ratschläge reichten von: »Iss doch was, Kind«, über: »Du kannst doch für immer hierbleiben«, bis zu: »In Afrika wären sie froh, wenn Sie deine Probleme hätten.«
»Warum erwähnst du eigentlich immer Afrika als negatives Beispiel?«, warf ich eines Abends ein, »du warst doch nie dort.«
Sie sah mich an. »Na, du hast ja recht, aber ich will euch manchmal nur vor Augen führen, wie gut ihr es habt.« Dann fügte sie hinzu: »Alles in allem.«
So oder ähnlich hatten sich die Szenen bereits vor dreißig Jahren tagtäglich abgespielt.
Samstagmorgen entdeckte ich zwei Wohnungsanzeigen in der Zeitung. Besser gesagt: Appartementanzeigen. Zimmer, kleine Küche, kleines Bad. Ich wäre mit allem zufrieden gewesen, solange ich nur die Tür hinter mir zumachen konnte und meine Ruhe hatte. Außerdem musste man alles positiv sehen: Weniger zu putzen war es auch.
Nach dem Frühstück rief ich bei den jeweiligen Vermietern an, und beide sagten zu. Herr Meyer-Kasteneder erwartete mich in Giesing. Herrn Schmidt würde ich später im Glockenbachviertel treffen.
Die freudige Nachricht meiner Mutter zu überbringen hätte ich mir natürlich sparen können. Sie spülte das Frühstücksgeschirr und drehte mir den Rücken zu, während ich bereits etwas unruhig am Küchentisch saß.
»Giesing? Da ist der Beckenbauer aufgewachsen, gell?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Schätze, da sind ’ne Menge Leute aufgewachsen.«
»Aber keiner von denen ist so berühmt wie der Beckenbauer Rudi.«
Ich stutzte. »Rudi? Heißt der nicht Franz?«
»Ach ja, der Franz«, meinte sie lachend, als ob sie ihn persönlich kennen würde. »Ich würde die Wohnung in Gie sing
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