Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
beiden anderen zu.
»Ich saß da in diesem … Wartezimmer … und erzählte den Leuten von meinem Chip im Kopf.« Sie schnäuzte sich, und wir glotzten sie abwartend an. »Und da sehe ich in dieser Notaufnahme, also ich sehe da …«
»Was siehst du denn?«, rief Louise ungeduldig. »Einen Mann ohne Arm? Eine Frau ohne Bein? Was!?«
»Schlimmer!«, rief Olivia. »Die ganze Zeit saß Nicole hinter mir. Sie hat alles mit angehört. Es ist mir so peinlich.«
»Wer zum Teufel ist Nicole?« Louise stand mit ihrem ausgewaschenen lila Jogginganzug da und blickte auf Olivia hinunter.
»Meine Exfreundin.« Sie hob den Kopf und sah uns an.
Annett lächelte. »Du meinst, eine ehemalige gute Freundin von dir, hm?«
»Nein. Wir waren anderthalb Jahre zusammen.«
Annett zog ihre Hand so schnell von Olivias weg, als hätte sie sich diese soeben an einer heißen Herdplatte verbrannt. Wir drei mussten ziemlich dämlich aussehen, wie wir so dastanden und sie anglotzten. Sie fragte: »Findet ihr das denn so schlimm?«
»Waaas?« Annett wirkte entrüstet. »Natürlich nicht. Ich verstehe nur nicht, warum du das nicht gleich zu Anfang erwähnt hast.«
Olivia sah sie fragend an. »Du meinst, ich hätte sagen sollen: ›Hallo, ich bin Olivia, achtundzwanzig Jahre und lesbisch.‹ Normalerweise erzähle ich das nämlich jedem gleich, wenn ich mich vorstelle. So wie Heteros von ihren sexuellen Vorlieben berichten, während sie sich die Hände reichen und begrüßen. ›Hallo, ich bin Helmut, und Kon dome sind mir total verhasst‹, oder: ›Guten Tag, ich bin Petra, und ich stehe auf junge, knackige Männer.‹ Wäre das in deinem Sinne, ja?«
»Gute Güte, nun steigere dich doch da nicht so hinein. Ich meinte ja nur. Mir ist das total egal, wirklich. Aber verschweigen ist fast so schlimm wie lügen. Na ja, irgendwie. Finde ich.«
»Und was hat sie gesagt?«, fragte Louise.
»Nicole? Zuerst habe ich gemerkt, dass mich jemand beobachtet, aber das ist nichts Neues für mich, also habe ich es erst mal ignoriert. Dann ist sie auf mich zugekommen. Ich hab sie sofort erkannt. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Es gab mir so einen Stich ins Herz, sie wiederzusehen; und dann auch noch unter diesen Um ständen. Richtig schmerzhaft war das für mich, sag ich euch. Nicole hat gesagt: ›Oli? Bist du das? Was ist denn das für eine schlimme Geschichte mit diesem Chip im Kopf?‹ Und dann habe ich gelacht und ihr von dem Buch erzählt. Sie hat das alles ganz falsch verstanden und gemeint, ich solle mir professionelle Hilfe suchen.«
Keiner sagte etwas, nicht einmal Louise.
»Glaubt ihr das etwa auch?«
Schweigen.
»Aber es geht doch um das Buch. Ich sage euch, es wird ein Bestseller!«
Ein Bestseller? Selbst wenn sich ein Verlag finden würde, wäre ich sehr erstaunt, wenn zehn Exemplare davon verkauft werden würden. Aber ich versuchte, taktvoll zu sein: »Olivia, ich habe das erste Drittel gelesen und – ich – muss dir sagen … Ich …«
»Ich hab doch gesagt, du brauchst noch ein bisschen Übung als Schriftstellerin«, funkte Louise dazwischen.
»Ja, genau.« Ich war darüber erleichtert, wie gut Louise das formuliert hatte.
»Na ja«, seufzte Olivia demonstrativ laut und blickte zu Boden. Gerade, als ich darüber erleichtert war, wie gut sie es aufnahm, meinte sie: »Viele großartige Künstler wurden erst mal nicht als solche erkannt. Wisst ihr, dass ganz viele der heute weltbekannten Autoren zunächst von den Verlagen abgelehnt wurden?«
Ich sah sie an. »Vielleicht könntest du mit einem anderen Projekt anfangen, Olivia, und ein wenig herumexperimentieren.«
»Mal sehen.« So ganz begeistert schien sie von meinem Vorschlag nicht zu sein.
17
D ie nächsten Tage vergingen recht schnell. In der Arbeit war ich ausgelastet mit einer aufwendigen Schaufensterdekoration, und unser neues Regal wurde geliefert. Frau Wenzel wollte im hinteren Teil des Ladens einen eigenen Bereich für Biografien einrichten. Jedenfalls war ich mit den Recherchen und Bestellungen dafür vollauf beschäftigt, neben den üblichen Arbeiten. So vergingen die Tage bis zum nächsten Wochenende wie im Flug. Als ich Freitagabend ins Bett fiel, schlief ich sofort ein.
Normalerweise träumte ich immer irgendeinen Blödsinn, den ich gleich wieder vergaß. In dieser Nacht träumte ich von Jamie Oliver, dem englischen Koch. Insgeheim fand ich ihn attraktiv und besah mir lieber die Fotos von ihm und nicht die Rezepte, die er vorstellte. Ich träumte,
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