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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Rühle
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selber, sondern ein paar lose Seiten, die aus meiner »Mobil«-Ausgabe herausfielen. Da hatte einer anscheinend Studien gesammelt zum Thema Ablenkung am Arbeitsplatz. Eine IT-Firma hat errechnet, dass das private Gedaddel an den Computern am Arbeitsplatz die britische Wirtschaft jährlich 1,4 Milliarden Pfund koste; eine amerikanische Firma behauptet, dass das amerikanische Bruttosozialprodukt um 1,5 Prozent wachsen würde, wenn Angestellte nicht Facebook benutzen dürften. Die berühmte Studie der University of California durfte natürlich auch nicht fehlen, derzufolge sich die durchschnittliche Büro-Monade nur elf Minuten am Stück ein und derselben Aufgabe widmen kann. Dann ploppt eine Mail hoch. Oder es ruft jemand an. Oder man schaut nur mal schnell zur Entspannung etwas im Internet nach. So wie andere eine rauchen. Das eigentlich Schockierende an der Studie sind nicht die kümmerlichen elf Minuten, die man kontinuierlich arbeiten kann, sondern die Erkenntnis, dass die Probanden im Schnitt 25 Minuten brauchten, bis sie sich wieder ihrer eigentlichen Tätigkeit widmen konnten. Weil sie der Anrufer bat, irgend etwas dringend zu erledigen. Weil sie auf die hochploppende Mail antworten mussten. Weil sie im Internet vom einen Link zum nächsten getrieben waren und sich dann in einem dritten Text zu ganz etwas anderem festlasen. Und weil sie sich dann erst wieder sammeln mussten.
    Ich schaute zum Fenster raus und fragte mich, ob diese Studie gefälscht wurde, die Zahlen klangen einfach zu absurd. Jede Firma könnte doch zumachen, wenn alle fortwährend 25-Minutenablenkungen hinlegen. In 25 Minuten fuhr dieser Zug fast von Frankfurt bis Köln.
    Andererseits geht konzentriertes Arbeiten vielleicht tatsächlich nur noch an Orten ohne Internet und Handyempfang. Der Tag, durch den ich mich gerade bewegte, sprach dafür. Ich habe in den elf Stunden München-Hamburg-München an einem langen Text gearbeitet, 70 Seiten am Stück in einem Buch gelesen und eine Stunde geschlafen. Mein Tag war wie auf Schienen abgelaufen, immer geradeaus, gleichmäßig. Ohne auch nur einmal ins Netz abbiegen zu können. Am Münchner Hauptbahnhof fühlte ich mich nicht gerade wie neugeboren, schließlich war es fast Mitternacht, aber endlich mal wieder befriedigend erschöpft von einem richtig guten Arbeitstag. Und da dachte ich, wie das wohl wäre, ganz ohne Netz.
    8. FEBRUAR
    In einem Düsseldorfer Kaffee treffe ich die WDR-Moderatorin Aslı Sevindim, die in Essen für das Programm der Kulturhauptstadt mitverantwortlich ist. Während wir reden, brummt fortwährend ihr Nokia-Smartphone. Irgendwann macht sie es aus. »Manchmal denke ich, all die Mails, Anrufe und SMS schrauben mir den Schädel auf«, sagt sie. »Nonstop geht das so. Kulturhauptstadtjahr, schön und gut, aber wir sind doch nicht die Vereinten Nationen, wir operieren auch nicht am offenen Herzen. Trotzdem muss immer alles jetzt sofort sein. Alles. Jetzt. Sofort. Das ist Terror. Meine Eltern waren beide berufstätig. Richtige Ruhrpottmaloche. Die hatten trotzdem irgendwie Zeit, uns Kinder aufzuziehen. Die Wohnung war aufgeräumt, und es kamen dauernd Leute bei uns vorbei. Türkische Kultur, jemand steht unangemeldet vor deiner Tür, du bittest ihn rein, und dann gibt’s erst mal gemütlich Tee und eine halbe Lebensgeschichte. Ist mir ein Rätsel, wie die das alles unter einen Hut gekriegt haben. Ich kann niemanden reinbitten, ich schaff’s nämlich nicht mal, meine Wäsche zu machen, und an Kinder ist gar nicht zu denken. Es geht nur immer weiter und weiter und weiter.« Bevor ihr Handy erlischt, leuchtet auf dem Display Istanbul auf, der Bosporus im Sonnenuntergangslicht.
    9. FEBRUAR
    Wahrscheinlich das Schönste an meinem Beruf sind die Reisen. Meist Reisen in Gegenden oder Biotope, in die ich sonst nie käme. Ich werde dafür bezahlt, mir die Welt anzuschauen und mir dann einen Reim darauf zu machen. Was für ein Glück! Und wie fremd die Welt oft zurückschaut: In Wuppertal steht die Schwebebahn still, das rostige Stelzengerüst schlängelt sich entlang der Wupper durch die Stadt wie die Wirbelsäule eines Monumentalsauriers. In Duisburg-Marxloh gibt es eine Straße mit 40 türkischen Brautmodeläden, die Leute kommen bis aus London her, um hier für ihre Hochzeiten einzukaufen – oder für die Beschneidungsfeste ihrer Söhne: Neben den obligatorischen Braut-& Bräutigam-puppen stehen in allen Schaufenstern ernst dreinschauende kleine Jungen in festlichem Ornat. Und in

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