Ohne Skrupel
Dr. Dolcon sehr
stark an Moppse oder Bullterrier erinnerten, waren jedoch etwas verwirrend für
ihn und für seine Vorabtaxierung. Die übertriebene, für seinen Geschmack
peinlich schrille, wenngleich auch teure Aufmachung würde er im Prinzip dem
Rotlicht-Millieu zuordnen. Nur das ästhetisch wenig ansprechende Äußere der
drei Grazien passte gar nicht dazu. In die Kategorie „erfolgreiche
Businessleute“ oder „schlaue Verbrecher“ wollte er die drei Frauen ganz und gar
nicht einordnen, also blieb nur die Kategorie “Erben oder Scheidung“. Aber
solange sein Stundenhonorar nicht nachverhandelt wurde, sollte ihm jedes
Beratungsgespräch recht sein. Seine vorsichtige Einschätzung war, dass hier
nicht mehr als drei Beratungsstunden herauszuschlagen und abzurechnen waren.
Denn im Prinzip sah Dolcon in seinen Mandanten nur Euro-Scheine auf zwei
Beinen, von denen er ordentlich Schmerzensgeld für seinen zeitlichen Einsatz
und seine Geduld fordern konnte.
Anna Katarina Youl und
ihren beiden Töchtern war dieser Termin sichtlich unangenehm und sie wussten
gar nicht so recht, wie sie anfangen oder was sie sagen sollten. Die mangelnde
Erfahrung für solche Termine bemerkte man deutlich. Es war reines Glück, dass
sie diesen Termin so kurzfristig bekommen hatten. Es ging auch nur durch die
Vermittlung eines sehr einflussreichen Verwandten von Anna Youl. Anna begann
und erzählte äußerst umständlich von ihrem verstorbenen Mann und seinem Unfall
vor gut einem Monat. Dann schweifte sie ab und erzählte von der Firma ihres
Mannes, den Gründungsjahren, dem Beinahe-Konkurs, dann wieder von ihrer
Witwenschaft und von ihrer schlechten Ehe der letzten Jahre. Der Anwalt Dolcon
verlor schon die Lust am Zuhören und driftete gedanklich ab, zu seinem nächsten
Urlaub, einem Segeltörn durch die karibischen Virgin Islands .
Fast schon am Ende der
ersten Beratungsstunde erzählte Anna Youl von den ausländischen Investoren und
dem dann folgenden wirtschaftlichen Erfolg und Aufschwung der Firma ihres
Mannes. In den letzten zwei Minuten der ersten Beratungsstunde kam sie auf den
Todestag ihres Mannes und die begleitenden Umstände zu sprechen. Zum Abschluss
ihres umständlichen Salmons legte sie mit triumphierender Geste den
Verkaufvertrag der Firmenanteile ihres verstorbenen Mannes Fiodr Youl auf den
Tisch. Dr. Dolcon las das Dokument genau durch und meinte dann abschließend,
dass dies wohl ein gültiger Vertrag mit Originalunterschriften sei.
Der Anwalt wusste immer
noch nicht so recht, was die Frauen Youl nun genau von ihm wollten. „Mit
Originalunterschriften?“, hauchte Anna Youl und schaute dem Anwalt schon fast
liebevoll in die Augen. Dies war der Moment, auf den Anna und ihre beiden
Töchter gewartet hatten! Ohne weitere Worte breiteten sie genüsslich und
langsam eine Vielzahl anderer Originaldokumente, jeweils mit der Unterschrift
von Fiodr Youl, auf dem riesigen Schreibtisch ihres Anwaltes aus. Dann zeigte
Anna mit ihren dicken Wurstfingern auf die Unterschrift unter dem Vertrag für
den Verkauf der Firmenanteile. Ein hämisches Grinsen umspielte ihre üppigen
Lippen und erfrischte ihre reifen Gesichtszüge. „Ist ‚FUCK YOU!‘ Ihrer Meinung
nach eine gültige Unterschrift?“, fragte Anna Katarina Youl mit triumphierendem
Unterton. Das uninteressierte Zuhören des Anwaltes Dr. Dolcon wechselte nun in
gespannte Aufmerksamkeit. „Ach Du dicker Hund!“, entfuhr es ihm, ohne dass er
sich – in Anbetracht seiner drei wohlgenährten Gegenüber – der Peinlichkeit
seiner Äußerung bewusst gewesen wäre. Die Euro-Zeichen leuchteten in den Augen
von Dr. Dolcon!
Sein Lieblingslied von
Pink Floyd, „ Money “ ertönte förmlich in seinem inneren Ohr. Was für ein
Sahnestückchen war das denn?
Sonntag, 9. Mai 2010,
München
Die Mehrzahl der Münchner hatte
spätestens am Samstag die Woche genüsslich beendet, um sich auf einen
erholsamen Sonntag zu freuen. Aber es gab auch ein paar Wenige, die sehr
arbeitsreiche Tage hinter sich hatten und so ausgelaugt waren, dass sie nicht mal
mehr die Kraft hatten, sich auf irgendetwas auch nur zu freuen. So war die
momentane Stimmung in der Villa im Stadtteil Nymphenburg. Die Verkörperung
purer Erschöpfung fläzte in dem bequemen Sessel vor dem offenen Kamin. Weder
die Schönheit der Einrichtung, noch die klassische Musik, Nocturne von
Chopin, noch das Glas mit dem altem Calvados konnten auch nur ein Fünkchen
Freude erzeugen. Unendliche Leere bemächtigte sich Kopf
Weitere Kostenlose Bücher