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Ohrenzeugen

Titel: Ohrenzeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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ist vom Ruderstand aus gesehen die linke Seite–, wenn Sie noch einen Blick auf das große Kraftwerk von Heilbronn werfen wollen. Solange Sie noch Gelegenheit dazu haben!«
    Einzelne Lacher ertönten. Es war ein schöner Ausflug. Eine tolle Idee mit dem Schiff von Bad Wimpfen nach Besigheim zur Weinprobe zu fahren. Gestartet waren sie um zehn in Bad Wimpfen, der Bus der Firma Tröper hatte sie bis zur Stauferpfalz gefahren.
    Kurz waren sie auf der Burg umhergeschlendert, um dann wenig später das Schiff auf dem Neckar zu besteigen.
    Es war ein großes Schiff, das alle Mitglieder der Kleintierzuchtvereine des Landkreises Schwäbisch Hall aufnehmen konnte, samt Ehegattinnen und Kindern.
    Die jüngsten Mitglieder waren einige 14-Jährige, die sich an einem Tisch zusammengerottet hatten und Cola tranken und Eis aßen. Die Ausführungen des Kapitäns interessierten sie herzlich wenig.
    Oberstudienrat Held beobachtete, wie einer der Halbwüchsigen mit Hingabe eine Kaugummiblase machte und sie zum Platzen brachte. Typisch heutige Jugend.
    »Brutales Ding, dieses Kraftwerk, oder?«, fragte nun jemand von der Seite.
    Held sah zu Maler hin. »Bitte?«, fragte er.
    »Das Kraftwerk! Das Kohlekraftwerk! Bist du blind? Gell, interessant, dieser riesige Kohlehaufen.«
    Held nickte und dozierte: »Hast du gewusst, dass dieser Haufen mehr strahlt als ein ganzes Atomkraftwerk?«
    Einmal Oberstudienrat, immer Oberstudienrat.
    Malers Augen weiteten sich. »Ehrlich? Ist das schlimm?«
    »Man fällt schon nicht tot um davon«, meinte Held.
    »Will noch jemand was zu trinken?«, fragte Herbert Winterbach in die Runde, der gemütlich an der Reling lehnte, oder vielmehr dort lümmelte, und in seinem schlabberigen Hemd und mit seinem Dreitagebart einen gewissen Bohemien-Chic ausstrahlte, wie Hedwig Maler fand.
    »Ein Viertele, ein rotes«, bestellte Silvio. Maria legte ihm eine Hand auf den Arm und blickte demonstrativ auf die Uhr. »Nur eins, Carissima! Versprochen!«, sagte Silvio.
    »Schade, dass der Rudi das nicht erleben kann, das hätte dem bestimmt auch gefallen!«, meinte nun Maler.
    Held nickte. »Ja, das wäre was für den Rudi gewesen. Der hatte die Schiffle gern!«
    »Ja, der Rudi!«, seufzte Silvio, während Winterbach zurückkam.
    »Ich hab’ eine Idee«, eröffnete Winterbach, während er die Gläser auf den Tisch stellte. Er machte kehrt und verschwand wieder, verfolgt von Hedwigs sinnend-wohlwollenden Blicken.
    »Ist die Polizei eigentlich schon weiter?«, fragte Frau Maler nun Maria Campo.
    Die schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Die Schumacher, die alte Baatsch, weiß zumindest nix!«
    »Ja, und wenn die nix weiß. Was sagt denn die Erna? Wieso ist die überhaupt nicht dabei?«
    »Ach, die kann schlecht weg wegen dem Hof. Und soooo wild ist die jetzt auch wieder nicht auf den Kleintierzuchtverein«, informierte Maria.
    »Das kann ich gut verstehen!«, meinte Hedwig bedeutungsvoll.
    »Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich kurz zu erheben«, ertönte nun wieder die Stimme des Kapitäns.
    Die 100 Passagiere auf dem Neckarschiff sahen sich zwar etwas unschlüssig an, aber gehorchten dann.
    Sekunden später hörten sie die Stimme von Herbert Winterbach aus den Lautsprechern.
    »Liebe Freunde, ich möchte Sie bitten, einen Moment an unser kürzlich verstorbenes Mitglied Rudolf Weidner zu denken! Lassen Sie uns eine Minute schweigen!«
    Und wirklich war es für eine Minute ganz still, was ein krasser Gegensatz zu dem geschäftigen Treiben und dem Tratsch von vorher war.
    Alles, was zu hören war, war der Motor des Schiffes, das Platschen der Wellen gegen den Rumpf und das Rauschen des Fahrtwindes. Und mit etwas Fantasie das ausgiebige Kaugummikauen der Teenager. Eine Kaugummiblase platzte, was Held dazu veranlasste, den jungen Übeltäter strafend anzublicken. Der senkte dann doch andächtig den Kopf.
    »Ich danke Ihnen!«, sagte nun Winterbach durch die Sprechanlage.
    »Lassen Sie uns unser Glas auf unseren Rudi erheben! Auf dich, Rudi!«
    100 Menschen gleichzeitig nippten an ihren Gläsern. Kurze Zeit später waren die Gespräche wieder im Gang und auch Winterbach hatte seinen Platz an der Reling wieder eingenommen. Wie sehr hätte dieser Ausflug dem Rudi gefallen und wie viel hätte er darum gegeben, den Rudi jetzt an seiner Seite zu haben!
    Der Fahrtwind zerzauste sein schütteres Haar und war angenehm kühl. Er nahm einen Schluck Hefeweizen. Haller Löwenbräu, ein gutes Bier, das musste er zugeben, das musste man

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