Ohrenzeugen
den Hallern lassen.
Er sah zum Ufer und sah die Stadt Heilbronn vorbeiziehen, Menschen, die dem Schiff winkten, Kinder, die von der Brücke spuckten, durch die sie gleich fahren würden. Und er fühlte sich allein, sehr allein.
Montag, 20. April
»Na, Simon, gibt’s schon irgendwas von der Uhr?«, fragte Heiko, als er am Büro des Kriminalobermeisters vorbeikam. Simon lehnte sich in seinen Bürostuhl, der protestierend quietschte.
»Zerraißän kann ich mich au net! Aber ich war bei ein paar Juwelieren und einer hat gemeint, dass es sich mit großer Wahrschainlichkeit um ein Hochzaitsdatum handelt. Anscheinend hatte man das damals so.«
»Und?«
Simon seufzte. »Dann hab’ ich im Standesamt angerufen und die haben mir alle Hochzeitspaare vom 27.Oktober 1914 genannt.«
»Und?«
Simon lehnte sich zurück. »Neun Paare. Viele haben damals noch schnell geheiratät, bevor der Mann an die Front musste.«
»Ah. Und?«
»Bisher gibt es keine Parallelen zu den Weidners oder zu den Kleintierzüchtern.«
»Gut gemacht, Simon! Dranbleiben, gell!«, meinte Heiko gönnerhaft grinsend und ging.
»Nette Frau, deine Mutter«, sagte der Kommissar zu seiner Kollegin, als sie nach Tiefenbach fuhren.
»Es tut mir leid«, meinte Lisa und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sie ist eben so. Danke, dass du mitgespielt hast!«
»Ist schon gut, Lieselotte«, frotzelte Heiko.
Lisa erstarrte. »Und noch eine Sache. Wenn du es noch einmal in deinem Leben wagen solltest, mich Lieselotte zu nennen, dann wirst du das nicht überleben!«
Schließlich erreichten sie den Hof. Beide warteten, aber es ließ sich kein einziger Hund blicken. »Riskieren wir’s«, schlug Heiko vor und stieg als Erster aus dem Auto aus.
Wütendes Bellen ertönte, allerdings aus dem Stall. Offenbar waren die Hunde eingesperrt.
Er sah sich um. Niemand war zu sehen. Stattdessen stand die Tür zum Hasenstall offen.
Lisa war auch ausgestiegen und gemeinsam liefen sie hin.
Heiko öffnete die Tür ganz. Sofort richteten sich alle 25 Augen- und Ohrenpaare auf ihn. Wie schon beim letzten Mal, gab es Geräusche, dezente Geräusche wie Scharren, Stampfen und Schnauben. Es roch nach Stall und frischem Heu.
Lisa streckte ihre Hand aus und steckte einen Finger durch das Gitter der Behausung eines kapitalen Rammlers. Das Tier drehte die Ohren nach vorne, kam zögerlich heran und beschnupperte den Finger. Dann biss das Kaninchen herzhaft in Lisas Fingerkuppe.
»Au!«, rief Lisa und steckte sich den Finger in den Mund.
»Zeig her!«, forderte Heiko und Lisa streckte ihm die Hand hin. Es blutete ein bisschen.
Heiko beruhigte sie. »Ist nur eine Fleischwunde. Wenn kein Wundbrand dazukommt, wirst du vielleicht durchkommen.«
»Haha«, brummte Lisa und sah den Hasen, der jetzt frech zu grinsen schien, böse an. Sie hatte keine Lust mehr auf die Viecher und verließ das kleine Kabuff wutschnaubend.
Draußen studierte sie nochmals die Angeberwand mit den vielen Preisen, die die Tiere errungen hatten. »Kategorie DRS, sgt in allen Pos., Gesamtsieger«, las sie halblaut. In ihrem Kopf arbeitete es.
»He, Heiko, komm mal her!«
»Was gibt’s?«, fragte Heiko und stand schon neben ihr.
»Siehst du das?«, fragte sie und zeigte auf das Schild.
»Schild«, stellte Heiko fest. »Und?«
»Na, die Abkürzung«, half Lisa. »DRS! Was das wohl heißt?«
»Deutscher Riesenschecke heißt das«, ertönte eine Stimme von hinten. Die beiden drehten sich um und entdeckten Frau Weidner in voller Arbeitsmontur mit einer Schubkarre voll frisch geschnittenem Gras, das intensiv duftete.
»Sou, seid ihr widder am schniffla?«, fuhr sie fort und stemmte die Hände in die Hüften. Heiko murmelte eine Entschuldigung und sagte:
»Wir wollten Sie bloß noch ein paar Sachen fragen.«
»Tschuldigung.« Frau Weidner wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht, die unter dem diesmal rot geblümten Kopftuch hervorgerutscht war. »Ich bin auch ein bisschen daneben. Das war einfach zu viel in letzter Zeit, das Ganze, meine ich.«
Heiko und Lisa nickten verständnisvoll. Das konnten sie gut nachvollziehen.
»Wollt ihr einen Kaffee?«
Wenig später saßen sie zu dritt wieder in der Stube. Verführerisch duftender Kaffee floss aus der gleichen Kanne in die gleichen Tassen wie beim letzten Mal. Der einzige Unterschied war ein großer bunter Strauß aus Narzissen und Tulpen, der in der Mitte des Tisches stand und die Sicht auf den Gegenüber versperrte.
»Also, wie schaut’s
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