Ohrenzeugen
zu lachen gehabt, das hatte auch Maria erzählt.
Silvio schüttelte den Kopf.
Kein guter Mensch war er gewesen, der Rudi. Auch, dass er ihn und seinen Marco nicht hatte leiden können, war nicht recht gewesen, gar nicht.
Denn der Grund dafür war nicht etwa, dass sie ihm etwas getan hätten. Nein. Der Grund war schlicht und einfach der, dass sie Ausländer waren.
Wobei man sie nach fast 40 Jahren in Deutschland wohl kaum noch als Ausländer bezeichnen konnte. Sie waren vielleicht ein bisschen exotisch wegen ihres italienischen Akzents, den sie nie ganz abgelegt hatten, sahen anders aus, weil sie schwarzes Haar hatten.
Aber sie fühlten sich hier heimisch, zu Hause, beinahe als Hohenloher. Und Marco sowieso. Marco war hier geboren und hatte sich nie als Italiener gefühlt. Der fühlte sich sogar fremd, wenn sie die Verwandtschaft in Italien besuchten.
Ganz so ging es Silvio selbst zwar nicht, Italien war und blieb seine Heimat. Trotzdem war Crailsheim auf jeden Fall Heimat Nummer zwei.
Und es war lächerlich, nur wegen der Herkunft etwas gegen einen Menschen zu haben. Denn für seine Herkunft konnte niemand etwas.
Wenn er ehrlich war, hatte er den Rudi nicht leiden können. Man sollte nicht schlecht über Tote denken, dachte er sofort und bekreuzigte sich nachlässig. Trotzdem. Es war nicht zu ändern. Den Rudi hatte er nicht gemocht.
»Simon? Siiiiiihmooohn!«, gellte es durch das alte Haus. Und dann, als keine Antwort kam: »SIIHMON!« Simon blickte von seiner Kaffeetasse auf und seufzte. Er stand auf und lief ins Schlafzimmer, wo seine Mutter im Bett residierte. Es war ja nicht so, dass sie nicht aufstehen konnte. Sie stand schon auf, wenn sie wollte. Aber sie ging immer spätestens um sieben ins Bett, immer, sommers wie winters, und verlangte dann, dass die Rollläden heruntergelassen würden, weil es ja schließlich bald Nacht sei.
»Simon, machsch du dia Rollladen zu?«, fragte sie also aus ihrer Kissenburg. Simon wusste, dass es wenig Sinn hatte zu diskutieren, wenig bis gar keinen.
Gegen seine Mutter kam er nicht an. Seit 30 Jahren nicht. Seit 1937, um genau zu sein, kam niemand gegen sie an.
Und seit ihrem Schlaganfall war sie noch herrschsüchtiger geworden.
»Un wo gangat ihr heit Abend naa?«, fragte die Mutter nun.
»In die Oper, Mudder«, erklärte Simon zum zehnten Mal. Die Frau im Kissenberg schüttelte den Kopf.
»So ebbes braucht doch koi Mensch«, legte sie fest.
»Bring doch des Mädle mit! Mir trinkat hier an Kaffee.«
Simon schüttelte den Kopf. So einfach war es nicht.
Der Mercedes SLK fuhr vor.
Heiko fluchte. Simon hatte darauf bestanden, ihn abzuholen. Wie unmännlich! Abgeholt werden! Nun stand die silbergraue S-Klasse auf dem Parkplatz und hupte auffordernd. Heiko stieg ein. Natürlich hinten, denn vorne saßen ja Simon und Lisa.
»Noowad«, grüßte er. Simon nickte höflich und Lisa sagte: »Hallo.«
Es war klar, dass er und Simon heute Konkurrenten waren. Sie beide hatten ein Ziel. Und dieses Ziel hieß Lisa. Lisa! Sie wurde heute von einem Hauch erlesenen Parfums umweht und die Haare hatte sie hochgesteckt, sodass der Blick frei wurde auf ihren entzückenden Nacken. An ihren Ohren baumelten lange, dunkelgrüne Ohrringe. Ihr Make-up konnte er nicht erkennen, da sie sich in ihrer Haltung nicht richtig umdrehen konnte. Auch ihr Kleid konnte er nicht sehen, weil sie einen eleganten Mantel trug.
»Ich freu mich scho ganz arg auf die Vorställung«, sagte Simon und schmachtete Lisa an.
»Wird bestimmt gut«, schaltete sich Heiko von der Rückbank ein. »Wie heißt die Oper noch mal?«
»Das Schweigen der Sirenen«, informierte Lisa und reichte Heiko ein Programmheft, das Simon offenbar bereits besorgt hatte.
Missmutig nahm Heiko das Ding und blätterte lustlos darin herum. Der Schwabe bog nun auf die Autobahn ein und gab mit den paar PS an, die sein protziger Wagen unter der Haube hatte.
Heiko verzichtete darauf zu erwähnen, dass sein M3 über stolze 321 PS verfügte.
Schlecht gelaunt hörte er zu, wie Simon und Lisa sich glänzend unterhielten. Für ihn war es schwierig, sich in das Gespräch einzuklinken, erstens thematisch, weil Simon ausschließlich über verschiedene Opern redete, und zweitens, weil er auf der Rückbank eine denkbar ungeeignete Ausgangsposition hatte.
Nach einer guten Stunde Fahrt waren sie da.
Die Stuttgarter Oper war von außen im weitesten Sinne klassizistisch zu nennen.
An der Garderobe gaben sie ihre Mäntel ab.
Simon trug
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