Ohrenzeugen
Hobby.
Aber dann hatte Rudi sich von den anderen anstecken lassen und sein Ehrgeiz war immer verbissener geworden. Geradezu krankhaft. Und schließlich hätte man meinen können, die Hasen würden ihm mehr als seine Familie bedeuten. Vielleicht war es auch so gewesen.
Erna fröstelte und zog die Bettdecke enger um sich. Tränen hatte sie keine übrig für ihren Mann. Aber Bedauern. Bedauern, dass alles so und nicht anders gelaufen war.
Trotzdem wünschte sie sich von Herzen, der morgige Tag wäre schon vorbei.
Mittwoch, 22. April
Die Glocken der Veitskirche läuteten. Heiko ließ seinen Blick über die Trauergemeinde schweifen. Das ganze Dorf war gekommen, wie das bei Beerdigungen so üblich war.
Alle in Schwarz oder dunklem Blau oder Grau.
Die Familie saß an der kleinen offenen Kapelle in der einzigen Stuhlreihe, der Rest der Trauergäste stand.
Frau Weidner saß auf einem Stuhl in der Mitte und wirkte dem Anlass entsprechend ernst, aber keineswegs verzweifelt. Links von ihr saß Silke, auf ihrem Schoß hockte ein sehr stiller Leon, dessen hellroter Pullover den einzigen Farbtupfer in diesem Arrangement bildete.
Neben Silke saß ein junger Mann, der überaus gutaussehend war und in einem perfekt passenden schwarzen Anzug steckte. Das musste Maximilian Weidner sein.
Noch daneben ein blondes Püppchen, das mit seinem blauen Nadelstreifenkostüm und seinem weißen, hochgeschlossenen Blüschen einer amerikanischen Anwaltsserie entsprungen zu sein schien. Wohl seine Freundin.
Rechts neben der Mutter saß Karl und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, im Gegensatz zu seinen Geschwistern, die das Ganze eher mit Fassung trugen.
Sein Anzug, der aussah, als hätte er ihn seit der Konfirmation nicht mehr angehabt, tat ein Übriges, um den jämmerlichen Eindruck zu verstärken.
Der große Sarg, vor der Familie aufgebaut, war aus schwerem Eichenholz. Er war mit roten Rosen und Schleierkraut geschmückt.
Pflichtschuldig schniefte Frau Weidner, als der Pfarrer auftrat und der Chor ›Näher, mein Gott, zu Dir‹ sang.
Der Pfarrer hielt eine für alle sehr ergreifende Predigt, während derer Heiko und Lisa ihre Blicke über die große Trauergemeinde schweifen ließen.
»Da ist ja wirklich das ganze Dorf gekommen«, wisperte Lisa und Heiko brummte zustimmend.
Direkt hinter der Familie standen die Stammtischbrüder, Maler und Campo mit ihren Familien, Marco wie zufällig direkt hinter Silke, daneben Herbert Winterbach und der Oberstudienrat, der ebenfalls alleine dastand.
»Haben die eigentlich keine Kinder, der Held und seine Frau?«, fragte Lisa, während der Pfarrer vom ›Ewigen Leben‹ predigte.
Heiko zuckte die Achseln. Anscheinend nicht.
In Frau Weidners Nähe befand sich auch Lina Schumacher, die in ihrem schwarzen Wollkostüm sehr feierlich wirkte.
»Und nun wird noch Friedrich Maler, der Vorsitzende des Kleintierzuchtvereins, Abteilung Tiefenbach, einige Worte sprechen«, ließ der Pfarrer verlauten.
Der Chor sang wieder, während Maler ans Lesepult trat. Der sonst eher zurückhaltende Mann hielt eine tränenreiche Rede über den lieben Rudolf, seine Qualitäten als Mensch und Hasenzüchter und darüber, wie sehr ihn alle vermissen würden.
Na, das stimmt so nicht ganz, dachte Heiko. Seine Familie scheint ihn nicht wirklich zu vermissen, außer vielleicht Karl.
Silvio Campo und Wilhelm Held sahen auch nicht gerade zu Tränen gerührt aus, anders dagegen Herbert Winterbach.
Schließlich läuteten erneut die Glocken, diesmal die der kleinen Friedhofskapelle und die Sargträger nahmen den Sarg auf. Still schritt der Zug der Trauernden hinter den Trägern her, zu einem Grab im hinteren Teil des Friedhofs.
Der Chor sang, während der Sarg hinabgelassen wurde.
Dann erhob wieder der Pfarrer seine Stimme und forderte die Trauergemeinde zum Beten des Vater Unser auf. Machtvoll erfüllte das Gebet den Friedhof und die Stimmung war sehr feierlich.
Anschließend fuhr der Pfarrer fort: »Rudolf Weidner, wir übergeben dich nun der Erde, von der du genommen bist.« Er nahm die bereit liegende Schaufel und ließ Erde auf den Sarg prasseln, während er sprach: »Asche zu Asche, Erde zu Erde, Staub zu Staub. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt!«
Die Gemeinde murmelte ein Amen und nach kurzem Verharren kondolierte der Pfarrer der Familie unter den Gesängen des Chores, die nun voller Inbrunst einsetzten, und blieb etwas entfernt stehen.
Dann trat Erna
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