Ohrenzeugen
für so was nicht gemacht!«, meinte Simon nun ein bisschen beleidigt.
»Da hast du recht, Simon. Um das gut zu finden, muss man wirklich ein Schwabe sein!«
Im zweiten Akt war die Bühne zweigeteilt. Auf der rechten Seite standen nun drei Opernsängerinnen in weißen Nachthemden, der Kerl von vorhin stand auf der linken Seite. Dazwischen befand sich eine raumfüllende Wand mit drei Gucklöchern, durch die die Damen unter hysterischen Zuckungen linsten.
Das Beeindruckendste aber war das Nashorn. Es schien echt zu sein. Ein ausgestopftes Nashorn, das an der Decke aufgehängt war.
Heiko konnte es kaum glauben. So ein Teil musste wahnsinnig teuer sein. Oder war es doch aus Kunststoff? Wenn es Plastik war, dann war es eine wirklich gute Nachbildung.
Heiko beschloss, sich den Rest des Abends vollends auf das Nashorn zu konzentrieren und das spitze Schreien der ›Sängerinnen‹ auszublenden.
Nach einer endlos erscheinenden weiteren Stunde hatte das Drama schließlich ein Ende. Erleichtert erhob sich Heiko und spendete verhalten Applaus. Insgeheim dachte er, dass für diese Darbietung die Prügelstrafe angemessener gewesen wäre. Wobei die Sänger selbst wahrscheinlich nichts dafür konnten, sondern wohl eher der sogenannte Komponist.
Seinem Hund würde er mehr melodische Kompetenz zutrauen– wenn der jaulte oder bellte, hörte es
sich jedenfalls um Klassen besser an.
Auf der Rückfahrt wurde Simon nicht müde, das »atonale Maischderwerk« zu loben, über Kafka zu referieren und diesen »erfrischändän Ansatz« zu betonen.
Lisa drehte sich nach einer Weile zu Heiko um und fragte: »Und, wie hat es dir gefallen?«
Heiko sagte nur: »Hm.«
Erna Weidner konnte nicht schlafen. Sie wälzte sich ruhelos auf einem zerwühlten Laken hin und her, wie auch schon die vorigen Nächte.
Ihr Bett war leer, zu leer. Sie hätte nicht gedacht, dass sie ihren Mann vermissen würde.
Schon oft hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihn zu verlassen. Hundertmal. Aber jetzt, wo er weg war, war es doch komisch. Er war eben weg. Ganz weg. Und er würde auch nicht mehr wiederkommen. Nie mehr.
Im Lauf vieler Jahre hatte sie sich eine dicke Haut zugelegt. Anders hätte sie diese Ehe auch nicht ertragen.
Dabei waren sie nicht schlecht miteinander ausgekommen, der Rudi und sie.
Zuerst war es richtig schön gewesen und geheiratet hatten sie tatsächlich aus Liebe.
Nun gut, die Auswahl war nicht gerade phänomenal gewesen damals. Sie hatte den Rudi auf dem Tanzabend getroffen. In den 60er-Jahren waren solche Abende organisiert worden, um heiratswillige Bauern und potenzielle Bäuerinnen zusammenzubringen.
Sie wusste noch genau, wie er sie zum ersten Mal aufgefordert hatte.
An diesem Abend hatte der Fritz verschlafen und hatte sie versetzt. Und dann hatte der Rudi sie aufgefordert. Zu irgendeinem Lied von Gitte Haenning war es gewesen, welches, das wusste sie nicht mehr.
Vielleicht ›Ich will ’nen Cowboy als Mann‹. Er war nie besonders hübsch gewesen, der Rudi. Aber lieb war er, lieb und lustig. Und auch nicht dumm. Niemals hätte sie damals geglaubt, dass aus dem Rudi einmal das werden würde, was er im Lauf ihrer Ehe geworden war.
Dabei hatte es keinen bestimmten Auslöser gegeben. Es war einfach mit den Jahren immer schlechter geworden. Rudi war immer öfter saufen gegangen, zum Silvio.
Erst einmal die Woche, dann zweimal, dann jeden zweiten Abend, am Schluss war er jeden Abend in der verhassten Dorfkneipe gehockt.
Erna hatte zuerst noch gekämpft, versucht, ihn vom Alkohol wegzubringen. Aber nichts hatte geholfen.
Als dann die Kinder in die Pubertät gekommen waren, hatten die Streitereien angefangen. Rudi erwartete absoluten Gehorsam von seinen Kindern– was zumindest Karl ansatzweise befolgte. Aber auch nur, weil dessen Gehirn zum Selberdenken nicht immer ausreichte.
Max und Silke hingegen hatten schon mit 14, 15 begonnen, sich nicht mehr groß um seine Anweisungen zu scheren.
Das hatte ihn getroffen. Er war geradezu beleidigt gewesen und hatte dichtgemacht.
Und seine Reaktion, als Silke ihre Schwangerschaft gebeichtet hatte, war nicht okay gewesen. Er hätte verständnisvoller reagieren müssen.
Und sie, Erna, verstand nur zu gut, dass Silke den Vater verschwieg– wenn es der war, von dem sie es glaubte.
Und dann die Hasen. Zuerst war es ja nur ein Hobby gewesen. Sie hatte ihren Rudi zeitweise sogar ›Mei glooner Riesascheck‹ genannt. Ein schönes Hobby, durchaus ein gemeinsames
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