Ohrenzeugen
ohrenbetäubend, sondern auch noch langweilig bis zum Gehtnichtmehr gewesen.
Da sie ganz oben gesessen waren, hatte er nicht mehr als weit entfernte Männchen in bunten Fetzen gesehen, die eine Sprache redeten, die er nicht verstand, und schmetternd und furchtbar schrill sangen.
Das waren die längsten drei Stunden seines Lebens gewesen. »Oder willscht du jetz nicht mähr mit, Haiko?«, fragte Simon und Heiko sah die Hoffnung in den kleinen blauen Augen blitzen, Hoffnung auf ein Solo-Date mit Lisa für den kleinen Schwaben.
»Doch, doch«, beeilte sich Heiko deshalb zu versichern, denn das musste unbedingt verhindert werden.
Nachher verliebte sich Lisa noch in diesen Softie, weil der einen auf kultiviert machte. »Gern«, fügte er hinzu, weil Lisa ein bisschen ungläubig dreinblickte.
Dienstag, 21. April
Die Rinder muhten. Stoisch schaufelte Karl Heu in die Raufen und öffnete das Gatter. Sofort senkten die Kühe schnaubend ihre Mäuler. Ihre feuchten, rosafarbenen Mäuler, aus denen lange, gierige Zungen hervorleckten, um die Heubündel in den Kuhmund zu ziehen.
Karl Weidner streckte sich und sein Rücken knackte vernehmlich. Es war schon viel Arbeit, so ohne den Vater. Er zog einen der Melkschemel zu sich heran, um kurz zu verschnaufen. Mit dem Ärmel wischte er sich nachlässig den Schweiß von der Stirn und faltete dann sinnend die Hände. Das hätte nicht passieren dürfen. Nicht ihm. Nicht seiner Familie.
Nicht, dass seine Familie besonders toll wäre. Oder besonders herausragend. Im Gegenteil. Wenn man es genau bedachte, war seine Familie eigentlich ziemlich daneben.
Wolf kam zur Türe herein und legte sich neben ihn. Er kraulte das Tier hinter den Ohren, was der Hund sichtlich genoss.
Seine Mutter. Sie war eine gute Mutter gewesen, immer. Auch wenn er ständig das Gefühl hatte, dass sie Maximilian lieber mochte als ihn. Ihn, den kleinen, dummen Karl.
Gut, so schlau wie sein Bruder war er auch wirklich nicht, das musste er zugeben.
Maximilian lebte sowieso in einer anderen Welt.
Und seine Mutter war stolz auf ihn, deshalb stolz, weil er der Einzige aus der Familie war, der studieren ging, der aus Crailsheim einmal rauskam.
Er selber, Karl, hatte nur den Hauptschulabschluss und hatte dann eine Lehre als Landmaschinenmechaniker gemacht. Das kann man auf dem Hof brauchen, hatte sein Vater gesagt, und er hatte nichts dagegen gehabt.
Aber als er fertig gewesen war, war er nicht übernommen worden, niemand war übernommen worden, nicht ein Einziger.
Und da war er eben auf dem Hof geblieben. Nicht schlecht, eigentlich. Aber der Hof war nicht groß. Trotzdem war es viel, viel Arbeit.
Und vielleicht würde er den Hof eines Tages übernehmen. Jetzt, wo sein Vater nicht mehr da war. Da wäre das ja durchaus denkbar.
Maximilian hatte jedenfalls bestimmt kein Interesse am Hof. Der hatte ja schon ein echtes Problem, wenn er Dreck unter den manikürten Fingernägeln hatte.
Ein ganz Besonderer war der eben, der Max.
Und Silke wollte den Hof auch nicht. Sie war ganz zufrieden mit ihrer Stelle im Handelshof. Nach dem Realschulabschluss hatte sie Einzelhandelskauffrau gelernt. Und dann den Job im Handelshof angenommen.
Nicht toll, aber okay.
Er mochte seine Schwester eigentlich. Nur die Sache mit dem Kleinen war schwierig.
Der Vater hatte schon recht gehabt, dass das eine rechte Schande sei, ein Kind, ohne verheiratet zu sein.
Zu der Zeit war sie ja nicht einmal mehr mit Herbert liiert gewesen. Die Schlampe kriegt ein Kind, war im Dorf rumgegangen. Die Schumacherin hatte zur Verbreitung ihren Teil beigetragen. Karl mochte den Kleinen zwar. Aber es war nicht recht. Sie hätte den Vater des Kindes heiraten müssen.
Das hatte ihr auch der Vater vorgeschlagen. Aber Silke hatte sich geweigert, eisern geschwiegen, sie hatte nicht einmal verraten, wer der Vater war. Ihr Vater hatte daraufhin erklärt, er habe keine Tochter mehr, und hatte kein Wort mehr mit Silke geredet.
Gut, das hatte er wohl nur aus Wut gesagt. Karl glaubte schon, dass er Silke auch geliebt hatte, sonst wäre ihm das mit dem Kind und der Schande ja egal gewesen.
Aber der Vater war hart geblieben und hatte seine Gespräche mit Silke wirklich nur auf das Nötigste beschränkt.
Hart konnte er sein, rabiat. Sie hatten als Kinder den Arsch mit dem Kochlöffel versohlt bekommen, wenn sie nicht gespurt hatten.
Und das öfter, als es nötig gewesen wäre.
Aber er war auch lieb gewesen, der Vater, lieb und lustig. In den letzten paar
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