Ohrenzeugen
Weidner zusammen mit ihren Kindern zum Grab. Sie blickten kurz auf den blumengeschmückten Sarg, warfen dann eine Rose aus dem bereitgestellten Körbchen hinunter und traten beiseite.
Nacheinander defilierten nun auch die Trauergäste am Grab vorbei, warfen eine Handvoll Erde oder ein Sträußchen hinein und sprachen anschließend der Familie ihr Beileid aus. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis alle durch waren.
Schließlich standen nur noch Weidners an der offenen Grube. Silke, die den mittlerweile leise weinenden Leon immer noch im Arm hielt, kam nun auf die beiden Kommissare zu. »Ach, ihr seid auch da. Kommt doch noch zum Leichenschmaus ins Oberlinhaus, ihr habt bestimmt Hunger!«
Die beiden nahmen die Einladung gerne an. Prima Gelegenheit, um einige Leute noch mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Tische im Oberlinhaus waren mit gelben Rosengestecken dekoriert, passend dazu die Servietten und die Tischdecken.
Als Lisa und Heiko eintrafen, war es bereits sehr voll. Auch hier blieb die Dorfgemeinschaft stets getreulich zusammen und der Verstorbene wurde laut gelobt und flüsternd beschimpft. Lisa und Heiko gingen erst zu Frau Weidner, die ihnen zunickte und ihnen zeigte, wo sie sich hinsetzen könnten.
Es war der Tisch des Kleintierzuchtvereins, auf dem ein silberner Pokal in Form eines Hasen stand. Auf der Plakette war ›Rudolf Weidner, Ehrenmitglied des Kleintierzuchtvereins Crailsheim‹ eingraviert.
»S’Gott«, grüßte Heiko und die Leute murmelten einen Gruß zurück.
»Ich kann’s immer noch nicht glauben«, sagte Herbert Winterbach und nippte an seinem Bier. Er und Held waren ganz offensichtlich ohne Begleitung gekommen, neben Maler hockte eine blasse, dickliche, in die Jahre gekommene Blondine und neben Silvio saß Maria. Außerdem war da noch Marco, am äußersten Tischende, der mit seiner schwarzen Lederjacke irgendwie deplatziert wirkte. Alle anderen Männer trugen dunkle Anzüge, die Frauen Kostüme oder Röcke.
»Habt ihr schon einen Mörder?«, fragte Herbert weiter.
»Wir sind dran«, gab Heiko Auskunft und bestellte bei der Bedienung, die ihn strahlend anlächelte, einen Kaffee. Er lächelte hingebungsvoll zurück und versuchte, aus den Augenwinkeln Lisas Reaktion zu erkennen. Es gab keine. Enttäuscht wandte er sich wieder Herbert Winterbach zu.
»Habt ihr denn wenigstens schon einen Verdächtigen?«, schaltete sich nun die Blondine ein, offenbar Frau Maler.
»Nicht direkt«, gab Heiko zu, »aber es gibt ein paar Spuren.«
Frau Maler stieß ihren Mann an. »Spannend, gell? Vielleicht war’s einer von uns!«
»Vielleicht«, sagte Lisa lächelnd.
Frau Maler erblasste. »Das war ein Witz! Oder glauben Sie etwa?« Sie schluckte und legte die Hand auf den Arm ihres Mannes.
Wenn Lisa das täte, das würde mir gefallen, dachte Heiko. Lisa sah heute besonders gut aus, die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und mit Klammern nach hinten gesteckt. »Nun, also, wenn ihr uns so fragt… wir bräuchten da etwas Unterstützung.«
Heiko zog ein Notizblöckchen und einen Kugelschreiber aus der Tasche und legte beides auf den Tisch.
»Ich würde nun die Herren Maler, Held und Campo bitten, etwas zu schreiben! Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Maria Campos Augen wurden schmal. »Wofür brauchen Sie das?«, fragte sie.
Heiko faltete die Hände. »Sie helfen damit der Polizei. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, gibt es auch keinen Grund, sich zu weigern.«
Lisa bemerkte, dass es an den Nachbartischen ruhiger geworden war und dass einige der Trauergäste das Gespräch unauffällig belauschten.
»Bitte!«, sagte Maler und schnappte sich den Kuli. »Was soll ich schreiben?«
»Schreiben Sie: Liebe und schöne Henriette, ich treffe dich an der Erle.«
Maler lachte laut und etwas nervös.
»Was? Ist das Ihr Ernst?«
Heiko bestätigte: »Hm.« Er hatte eine Weile gebraucht, um einen Satz zu formulieren, der möglichst viele Wörter und Buchstaben aus dem Brief in unverfänglichem Zusammenhang enthalten sollte.
»Das ist aber ein ziemlicher Stuss!«, beschwerte sich Maler und schrieb zähneknirschend. Heiko schob den Block in die Tischmitte. »Wenn Sie dann bitte auch…«
Nun war es an den Nachbartischen ganz still geworden. Alle hörten zu und schielten herüber, wirklich alle.
Und so blieb Held und Campo praktisch nichts anderes mehr übrig, als ebenfalls den Satz auf den Notizblock zu schreiben.
Heiko beobachtete die drei Männer genau. Er
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