Ohrenzeugen
»Und entfernt hast du ja auch Ähnlichkeit mit diesem, wie hieß er noch, Slash, oder?«
»Na ja, meine Frisur ist schon ein bisschen anders!«, protestierte Heiko.
Wenige Minuten später war die Gitarre eingestöpselt und Heiko ließ probeweise einige Akkorde erklingen. Dann begann er.
Lisa erkannte den Part gleich. Das Solo war unverkennbar. Sofort stiegen vor ihrem geistigen Auge Bilder auf, Szenen von dem Video aus den 90ern, die tote Braut im Sarg, wie tragisch! Als Teenie hatte sie jedes Mal geheult, wenn der Clip auf MTV gelaufen war.
Heiko brach ab. »Aber Lisa, was ist denn? Warum weinst du denn?«
Lisa wischte sich eine Träne weg. »Ich weine doch gar nicht.«
Heiko kam zu ihr. »Doch, das tust du. Hab’ ich was falsch gemacht?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Neinnein, du hast nichts falsch gemacht. Ich meine, kennst du noch das Video zu November Rain? Ich hab’ da früher immer geheult, verstehst du das? War doch schlimm, dieses Video, oder?«
Heiko erinnerte sich. Ja, das war ein blödes Video gewesen. Sehr traurig. Nicht, dass er damals geheult hätte. Aber er bevorzugte eben Unterhaltung, die emotional unkomplizierter war.
Lisa sah immer noch traurig aus, sehr traurig sogar.
Er setzte sich zu ihr aufs Sofa und legte den Arm um sie. »Ist doch nicht so schlimm«, meinte er. Lisa versuchte ein Lächeln. »Entschuldige, ich komm mir so albern vor.«
Heiko zog sie etwas näher an sich. »Aber nein, Lisa, du bist doch nicht albern! Du bist…« Er hielt inne und Lisa hob den Kopf. Ihre Gesichter näherten sich und dann küssten sie sich wieder. Intensiver als die beiden ersten Male. Und es war wunderschön.
Heiko räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Es war ein schöner Abend gewesen. Sie hatten gekuschelt und geschäkert, mehr nicht. Aber immerhin. Die Sache war am Laufen. Und er wollte nichts riskieren. Also lieber langsam. Langsam und sicher.
Freitag, 24. April
Simon reichte Heiko als Erstes eine Notiz, als er zur Türe hereinkam. Er schien irgendwie geknickt zu sein. Vielleicht hatte er mitgekriegt, dass zwischen Lisa und dem Kommissar etwas passiert war.
Heiko war hin und hergerissen. Er mochte den kleinen Schwaben und er tat ihm irgendwie auch leid. Aber so einfach war es eben nicht. Er konnte ihm ja nicht einfach aus Mitleid die Frau überlassen, die er…, die sie beide haben wollten.
Heiko murmelte einen Gruß und hielt den Blick auf den Zettel gesenkt. »Wüst, Luft, zum Chef«, stand darauf, und in diesem Moment kam Lisa herein.
»Du kommst genau richtig!«, begrüßte Heiko seine… ja, was war sie denn nun eigentlich? Gute Frage! Seine Kollegin auf jeden Fall. Eine Freundin auch. Und SEINE Freundin? Vielleicht. Heiko fand eigentlich schon und er hoffte inständig, dass sie das genauso sah.
»Ach, Simon, gibt’s eigentlich schon irgendwas Neues von der Uhr?«, fiel ihm dann plötzlich ein.
Der Kriminalobermeister schüttelte den Kopf. »Da hat irgändwie nix gepasst!«, meinte er etwas zerknirscht.
»Na, macht ja nix, wenn sich noch was ergibt, sagst du einfach Bescheid, gell?«
»Setz dich, Heiko, und Sie sich auch, Frau Luft!«, begrüßte sie Schorsch und minimierte sein Solitärfenster.
Er lehnte sich erwartungsvoll zurück und faltete die Hände über der ansehnlichen Wampe, die heute von einem blaugrün karierten Hemd verhüllt und von einer grünen Krawatte gekrönt war. »Nun, was gibt es Neues im Fall Weidner? Gestern Morgen bei der Besprechung wart ihr ja ungewöhnlich still.«
Lisa schluckte, sie schien immer noch einen Heidenrespekt vor dem Schorsch zu haben.
»Nun ja, wir sind dran. Wir haben die Familie abgecheckt.«
»Und?« Schorsch zog erwartungsvoll eine Augenbraue hoch, was er sehr gut konnte, und sackte noch tiefer und noch chefmäßiger in seinen schwarzen Ledersessel.
»Im Moment ist unsere heißeste Spur, dass die Frau Weidner eine Affäre hat! Wir haben nämlich einen Liebesbrief«, informierte Heiko.
»Und mit wem?«
»Wir überprüfen grad mehrere Kandidaten. Da kommt noch ein graphologisches Gutachten.«
»Und was ist mit dem Mann, der zusammengeschlagen wurde? Steht das in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mord?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir denken aber, dass das eine andere Sache ist!«
»Nämlich?«
»Wir vermuten da eine Eifersuchtssache, im weitesten Sinne!«
Georg Ullrich nickte bedeutungsvoll und beugte sich über den Tisch, die Hände immer noch gefaltet. »Ich will euch ja keinen Druck machen, aber
Weitere Kostenlose Bücher