Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
früh an den Flairschen Lobesaufwand gewöhnt, und Ronald wußte sich auszugleichen. »Ob man es einrichten kann«, fragte er, »daß ich, wenn es einmal pressiert, Karten bekomme? Bar bezahlt von mir und verläßlich zugesichert vom Theater?«
    »Gemacht«, sagte Flair. Er klang wie Fuhrmann zu Fuhrmann, wollte dann aber wissen, ob das Arrangement nur für die Neuen Maße gelte. Sicher überraschte es ihn wie mich, als Ronald erwiderte, es sei in der ganzen Perspektive gedacht.
    Ehe ich mich nach Näherem erkundigen konnte, legte Ronald einen Finger auf die Lippen, oder besser, er hielt den Zeigefinger in Höhe seines Mundes und entfernt von dem in die Luft. Es mochte, falls Umstände ihn zu einer Erklärung nötigten, auch anderes bedeuten, meinte aber ohne Zweifel, ich solle schweigen. Ronald war ein Artist in solchen Dingen. Er konnte kursiv sprechen oder so, daß man die Zeile, auf die es ankam, in Kapitälchen sah. Vergeblich versuchte ich, es ihm nachzutun, wenn er ein Wort wie Hühner zu Teilen sprach und zum Teile pfiff.
    Ich fand seine Künste komisch, und an einem Tag, an dem er mich zu seiner dienstlichen Angelegenheit machte, habe ich sie als nützlich empfunden. Es begab sich am zweiten Weihnachtstag in einem Winter ohne Schnee. Ich wähnte das Jahr schon vorbei; in meinem Übermut fragte ich Ronald, ob er Lust auf Kino habe, Die blaue Dahlie mit Alan Ladd, Hermannplatz, amerikanischer Sektor. Ich hätte auch die Wachtmeisterin gebeten, aber ihrer Generalskarriere wegen mußte sie Westberlin meiden.
    Mit kleineren Sünden gingen wir auf eine Weise um, die ich für katholisch hielt. Umso wütender wurde ich, wenn einer meine Partei mit der Kirche zu vergleichen wagte. Als östlicher Genosse ins westliche Kino zu laufen, zählte zu den größeren Sünden. Mit einfacher Beichte kam man nicht davon. Man konnte nicht der nächsten Versammlung gestehen, man habe unlängst den Dritten Mann gesehen oder Des Königs Admiral oder den Scharlachroten Pimpernell , und man bereue es stark, weil es nicht nur unterhaltsam, sondern auch reaktionär gewesen sei. Ohne viel Federlesens wäre man hinausgeflogen. Odervielmehr nach einer umständlichen Prozedur, die den ganzen Menschen zutage förderte. Der war am Gesundbrunnen im Kino? Auf Einladung oder hatte er umgetauscht? Eingeladen von einer nahen Verwandten? Wie stand die zum Stockholmer Appell? Wenn sie so fortschrittlich war, woher hatte sie das viele Geld? Und falls wirklich so fortschrittlich, warum sah sie sich nicht in Friedrichshain Grube Morgenrot an? Vermutlich doch umgetauscht und den Koreakrieg finanziert? Klar, was hier los ist: Jetzt den Koreakrieg finanzieren, früher das Infanteriesturmabzeichen gehabt haben und heute Verbrecherfilme sehen, alles eine Linie! In deren Verlängerung man im Bogen hinausflog aus der Partei. Was sagt der? Er möchte in ihr bleiben, weil er in allem statutenfromm lebt und nur diese Kinoschwäche hat? Nur ist gut, Genossen, nur ist sehr gut. Der zeigt im Westkino den Ostausweis, um Monsieur Jean-Paul Sartres Schmutzige Hände zu besichtigen oder Herrn Arthur Koestlers Sonnenfinsternis , möchte aber weiterhin Seit an Seit mit uns Wann wir schreiten Seit an Seit oder Brüder in eins nun die Hände! singen. – Ins Nichts mit ihm, Genossen, ins Nichts, ins Nichts mit ihm!
    Außer moralischen Gründen machte meine Partei materielle geltend, wenn sie uns das Westkino verbot. Zum einen gefährdete den Zweijahrsplan plus nachfolgende Pläne, wer der Volkswirtschaft die solide Währung entzog, um sie den Kursschwankungen der Westmark auszusetzen. Zum anderen geriet das gute Geld in die Hände eines bösen Gegners, der alle Mittel und bevorzugt Barmittel einsetzte, um unsere Sache zu gefährden. Ansonsten waren Sein und Bewußtsein nicht nur bei Fox’ tönender Wochenschau in Gefahr, sondern ebenso bei dem, was dieser folgte. So gesehen, konnte die Wochenschau sogar für ungefährlicher als jeder Hauptfilm gelten. Weil man ja wußte, daß sie log. Was man beim Hauptfilm nicht immer merkte. Bei manchem Hauptfilm mußte man geschult sein, um es zu merken. War man nicht geschult, merkte man nicht, daß James Cagney in Wahrheit die Russen meinte, wenn er am Ende einer Kette bitterer Erfahrungen bitter sagte, er traue den Japanern nicht. Ohne geschult zu sein, kam man nur schwer hinter die eigentliche Zielsetzung eines Lustspiels, das vornehmlich ausBing Crosby und dessen singendem Pferd bestand. Ohne Schulung begriff sich kaum, daß Bing

Weitere Kostenlose Bücher