Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
Vom Netzwerk:
ergriff. Sie war eiskalt. Genauso eisig wie das Entsetzen, das die beiden Mädchen erfasst hatte.

Quälende Fragen
    D
ie Stimmung auf dem Fischkutter, der schnurgerade nach Norden fuhr, war äußerst seltsam. Die Passagiere vertrieben sich die Zeit, so gut es irgend ging, und versuchten, ihre Aufregung und ihre Angst zu vergessen. Als Oksa und Zoé das Schiff von vorn bis hinten durchschritten, trafen sie die drei Söhne von Cameron Fortensky beim Kartenspielen an: Andrew, den Pastor, in ein Buch vertieft, Cockerell in einer angeregten Diskussion mit Naftali – leider in einer fremden Sprache –, Kukka schmollend in einer Ecke. Noch immer hatten die Mädchen, beide von derselben Sorge getrieben, nichts über die Ursache von Gus’ schlimmem Zustand erfahren, aber sie gaben nicht auf. Sie versuchten, all jene auszufragen, die mit in der Kabine der Bellangers gewesen waren. Jedoch vergeblich … Die Erwachsenen schienen einen Schweige­pakt geschlossen zu haben. Jedes Mal kam dieselbe Antwort: »Macht euch keine Sorgen, alles wird wieder gut.«
    »Die behandeln uns wie kleine Kinder!«, regte sich Oksa auf. »Komm, dann finden wir es eben selbst heraus, wenn uns keiner was sagen will.«
    Sie zog Zoé hinter sich her, und zusammen schlichen sie durch die schmalen Gänge bis zur Kabine der Bellangers. Oksa kniete sich vor der Tür auf den Boden und konzentrierte sich darauf, mit der Spitze ihres Zeigefingers das Schloss aufzusperren.
    »Hast du das gesehen, Zoé? Sie haben die Tür abgeschlossen. Das ist doch komisch, oder?«
    Zoé nickte stumm. Oksa erhob sich und schob triumphierend die Tür auf. In der Kabine schlief Pierre, den massigen Körper zur Wand gedreht. Einen Moment lang schien es, als ob er den schwachen Lichtschein, der vom Gang hereindrang, im Schlaf bemerkte. Sein Atem wurde unruhiger, doch dann kehrte er zu seinem regelmäßigen, tiefen Rhythmus zurück. Die beiden Mädchen schlossen die Tür hinter sich und spähten im Halbdunkel nach Gus. Er lag mit angezogenen Knien in der unteren Koje. Neben ihm auf dem Kopfkissen hatte sich der kleine Plemplem zu einer Kugel zusammengerollt und schnarchte friedlich vor sich hin.
    »Der will gar nicht mehr weg von dir!«, flüsterte Oksa Gus zu und setzte sich zusammen mit Zoé auf sein Bett.
    »Ich glaube, er hält mich für seinen Vater«, murmelte Gus und streichelte den flaumigen kleinen Kopf des Geschöpfs. »Aber was macht ihr denn hier?«
    »Wir versuchen, uns ein paar Informationen an der Quelle zu beschaffen«, antwortete Oksa flüsternd. »Wie geht es dir?«
    Gus hob den Kopf. Er sah furchtbar aus.
    »Ich fühle mich hundeelend«, sagte er und schnitt eine Grimasse. Dann verbesserte er sich. »Was für ein blöder Ausdruck. Ich habe noch nie einen Hund gesehen, dem es so elend ging.«
    »Was genau hast du denn?«, fragte Oksa.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte Gus und zog die Knie noch fester an den Körper.
    »Haben deine Eltern nichts gesagt? Oder meine Großmutter? Ich bin sicher, dass die irgendetwas wissen.«
    Sie merkte, wie Zoé ihr ein Zeichen gab, nicht weiterzureden. Doch es war schon zu spät. Nun hatte sie Gus idiotischerweise erst richtig Angst gemacht.
    »Wenn man mir nichts sagt, dann muss es wohl was Schlimmes sein, oder?«, fragte der Junge und zementierte damit Oksas Schuldgefühle. »Bestimmt was Unheilbares.«
    Während Zoé Gus beschwichtigend über die Schulter strich, hätte Oksa vor lauter Ärger über sich selbst aus der Haut fahren können. Wie unsensibel sie doch manchmal war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte!
    »Red keinen Unsinn, das wird schon wieder!«, flüsterte sie, wobei ihr auffiel, dass sie jetzt genau das sagte, was sie von den Erwachsenen zur Antwort bekommen und ihnen auch nicht abgenommen hatte. »Willst du noch eine Dosis von meinem super­wirkungsvollen Anti-Übelkeits-Mittel?«, fragte sie und zog die winzige Sprayflasche aus der Tasche.
    Gus zögerte einen Moment, dann nickte er.
    »Wenn mir nur noch Zaubermittel helfen, bitte. Warte, ich lege mich anders hin.«
    Er streckte sich der Länge nach aus und verschränkte die Hände überm Bauch. Oksa musste unwillkürlich an die steinernen Sarkophage mit den Reliefs von Toten denken, die sie in der Kathedrale von Westminster so beeindruckt hatten. Vor Schreck richtete sie sich überstürzt auf und hätte sich beinahe am oberen Stockbett angestoßen. Zoé hielt sie gerade noch zurück.
    »Das wird dir bestimmt guttun«, murmelte

Weitere Kostenlose Bücher