Oksa Pollock. Der Treubrüchige
ihr, und alle drei gaben sich ihren Künsten nach Herzenslust hin.
»Sie sind grandios!«, rief Oksa.
»Wunderbar«, bemerkte auch Cameron neben ihr. »Einfach herrlich anzusehen! Wenn ich daran denke, dass man das all die Jahre verbergen musste. Wie schade!«
Das ließ sich Oksa nicht zweimal sagen. Den Bruchteil einer Sekunde später hatte auch sie vom Deck abgehoben, und Cameron blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Die Junge Huldvolle schoss wie eine Rakete in den Himmel und folgte Brune, die die unterste Wolkenschicht durchstoßen hatte. Dann kehrte sie im Sturzflug und aus voller Kehle jauchzend wieder zurück und drehte erst unmittelbar über dem Wasser wieder ab, wie es ihr Leomido beigebracht hatte.
»OKSA!«, schrie ihr Vater aus der Steuerkabine.
Abakum legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
»Mach dir keine Sorgen. Es kann doch nichts passieren.«
Pavel atmete tief durch.
»Es kann immer etwas passieren. Wenn nun ein anderes Schiff oder ein Radar die vier entdeckt! Wir hätten sofort die Armee auf dem Hals, und ehrlich gesagt, das wäre im Moment das Letzte, was wir brauchen können …«
Abakum machte eine bedenkliche Miene. Der Einwand war berechtigt, und so schickte er das Wackelkrakeel zu den Damen, die zwischen den Schaumkronen und den Wolken ihre Pirouetten drehten. Es flüsterte Dragomira etwas ins Ohr, und diese gab sofort das Kommando zur Rückkehr. Wenige Sekunden später standen die vier Fliegerinnen wieder an Deck und nahmen den Beifall der Zuschauer entgegen. Oksa spähte zu ihrem Vater hinüber, der mit finsterer Miene in der Steuerkabine stand. Sie schämte sich, als ihr aufging, dass er sich ihretwegen nun noch mehr Sorgen gemacht hatte. Er schenkte ihr ein kleines gequältes Lächeln, das sie mit einem strahlenden Lächeln erwiderte, in der Hoffnung, ihn zu besänftigen.
»Phantastisch«, sagte Cameron zu ihr. »Du bist wirklich hochbegabt!«
»Och … auch nicht mehr als irgendein anderer Rette-sich-wer-kann, der das Vertikalieren beherrscht«, stammelte Oksa.
»Soll das ein Scherz sein? Ich will ja nicht taktlos erscheinen, aber deine Begleiterinnen haben dir immerhin mehrere Jahrzehnte Übungspraxis voraus. Sag mir noch mal, seit wann du vertikalierst?«
»Äh … ungefähr seit einem Jahr.«
»Genau, wie ich sagte: Du bist sehr begabt!«, lobte Cameron sie erneut.
»Kann ich dir eine Frage stellen?«
»Schieß los!«
»Du kannst doch auch vertikalieren, oder?«
»Ich habe es erst spät gelernt«, erwiderte er, »und nie die Gelegenheit gehabt, mich richtig darin zu üben. Mein Vater war lange Zeit sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, uns, also Galina und mir, diese Dinge beizubringen. Immerhin hat er uns aber, sobald wir alt genug dafür waren, in das Geheimnis von Edefia und in alles andere, was damit zusammenhängt, eingeweiht. So hat er es, zu unser aller Sicherheit, mit allen Nachkommen der Familie Fortensky gehalten. Ich bin überzeugt, dass Leomido die richtige Entscheidung getroffen hat, auch wenn es für uns schwer zu verkraften war, was er uns da eröffnete, das darfst du mir glauben. Man braucht sich nur anzusehen, was es bei den Knuts angerichtet hat, dass sie versucht haben, alles geheim zu halten.«
»Du meinst wegen Tugdual?«, fragte Oksa erregt.
»Ja. Er hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Die Entscheidung der Knuts, ihre Herkunft auch gegenüber den eigenen Kindern zu verbergen, hatte schlimme Konsequenzen für die ganze Familie, vor allem für Tugdual. Solch ein Geheimnis dann völlig überstürzt enthüllen zu müssen, das ist ein ziemlicher Schlag. Und eine Gefahr obendrein! Man muss ganz schön stark sein, um so etwas wegzustecken, und Tugdual war dafür nicht wirklich bereit.«
»Glaubst du, man ist jemals bereit dafür? Ich glaube, ganz egal, wann und wie man es erfährt, es ist immer ein fürchterlicher Schock.«
Cameron strich sich zweifelnd übers Kinn.
»Da hast du nicht ganz unrecht. Ich weiß noch, wie ich selbst monatelang ganz krank vor Angst war bei der Vorstellung, womöglich irgendetwas zu tun, was mich in den Augen der Von-Draußen verraten würde. Zumal mein Vater geradezu neurotisch war vor Sorge, das kannst du mir glauben.«
»Das erinnert mich an jemanden«, sagte Oksa mit einem flüchtigen Blick zu ihrem Vater, der sie immer noch beobachtete.
»Aber die Gefahr war jedenfalls geringer, wenn man Bescheid wusste. Man lebte zwar in der Angst, entdeckt zu werden, doch wenn man ein bisschen Vorsicht walten
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