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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Kontrolle zu bringen, und rannte dann einfach am Baumstamm empor. Dann setzte sie beide Hände auf die raue Rinde, stieß sich kraftvoll ab und landete gut zwanzig Meter weiter auf dem nächsten Baum.
    Mit einem lauten »Juhuuu!« schrie sie sich die Anspannung von der Seele, während sie sich gleichzeitig mit aller Kraft an einen Ast klammerte.
    Auf diese Weise, wie ein Affe von Baum zu Baum springend, setzte sie ihren Weg in der Luft fort. Bis ihre Begleiter ihr in den Sinn kamen.
    »Abakum? Bist du noch da?«, rief sie beunruhigt.
    »Mach weiter so, Oksa!«, ertönte eine Stimme aus dem dichten Farn. »Und vor allem: Bleib in Gedanken bei Gus!«
    Sie wagte einen kurzen Blick nach unten und sah den Hasen durch die fast schwarz wirkende Vegetation hüpfen. Erleichtert richtete sie ihre Gedanken wieder auf Gus. Sie stellte sich sein hübsches Gesicht mit dem asiatischen Einschlag vor: Die tiefblauen Augen lächelten sie an, bis ein Schatten der Furcht sie plötzlich verhüllte. Oksa fröstelte und setzte sich schnell in Bewegung, ihren Freund als Ziel fest vor Augen.
    Sie hatte längst aufgehört mitzuzählen, wie viele Bäume sie schon hinter sich gelassen hatte, als sie auf einmal mitten im Wald etwas Helles schimmern sah. Zunächst war es kaum zu sehen, doch dann wurde es immer größer und deutlicher. Im Nu hatte sie die schillernde Wand erreicht, und ohne sich groß anstrengen zu müssen, wurde sie hindurchgeschleudert. Sie kniff die Augen zu und spürte im nächsten Moment, wie sie über den Boden rollte, der so weich war wie der Aschepfad im Wald.
    »OKSA!«
    »Gus? Bist du das?«, fragte Oksa zurück. Aus Angst vor einer Enttäuschung hielt sie die Augen noch immer geschlossen und blieb zusammengerollt auf der Erde liegen.
    »Na, und ob ich das bin! Was denkst du denn?«, ertönte Gus’ vertraute Stimme. »Aber jetzt entspann dich mal! Du siehst aus wie ein verängstigter kleiner Igel!«
    Oksa wagte endlich, die Augen zu öffnen, sprang mit einem Satz auf – und stand tatsächlich Gus gegenüber.
    »Du hast dir vielleicht Zeit gelassen«, sagte er frech, um seine unbeschreibliche Erleichterung zu verbergen.
    Mit Tränen in den Augen stand Gus da und sah sie an. Oksa war nicht weniger gerührt – und genauso unfähig, es zu zeigen. So erwiderte sie einfach nur seinen Blick. Obwohl Gus vor Freude strahlte, sah er furchtbar aus: Er hatte tiefe Ringe unter den Augen, und sein ganzes Gesicht wirkte eingefallen. Sein Hemd war grau vor Schmutz und zerrissen, seine Haare völlig zerzaust. Oksa packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn.
    »Also, ist das vielleicht eine Begrüßung, du undankbarer Kerl!«, rief sie mit einem erstickten Schluchzer und schüttelte ihn dabei immer noch wie einen Pflaumenbaum. »Da riskiere ich mein Leben und durchquere einen Wald, der nichts anderes im Sinn hat, als mich bei lebendigem Leib zu verschlingen, und dann so ein Empfang! Also echt! Wenn du dich das nächste Mal eingemälden lässt, kannst du sehen, wie du allein wieder rauskommst, verstanden?«
    »Ha, langsam, junge Dame! Oder willst du meinem Sohn sämtliche Knochen brechen?«
    »Pierre!«
    Ein paar Schritte weiter stand Gus’ Vater. Auch auf seinem Gesicht spiegelte sich unglaubliche Erleichterung. Oksa warf sich in seine Arme, und alle drei lachten vor Freude so ausgelassen, dass sie nach Luft ringen mussten.
    »Ein verängstigter Igel will dem Freund der Jungen Huldvollen sämtliche Knochen brechen? Die Einwohner dieser Gegend haben ziemlich raue Sitten, wir sollten uns vorsehen …«
    Der abgedrehte Kommentar kam natürlich vom Kapiernix, der auf Pierres Rücken saß. Die drei anderen brachen erneut in schallendes Gelächter aus, während das Geschöpf mit dem trägen Verstand sie verwirrt betrachtete. Es dauerte Minuten, bis sie sich wieder beruhigt hatten.
    »Bist du problemlos durch den Wald gekommen?«, wollte Oksa schließlich von Pierre wissen, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte.
    »Hm … es war nicht gerade ein Zuckerschlecken, aber ich hatte ja eine starke Motivation«, sagte er und betrachtete liebevoll seinen Sohn.
    »Und du, Gus? Wie geht es dir?«, fragte Oksa und musterte ihren Freund aufmerksam.
    »Also, jetzt, wo ihr da seid, geht es schon«, murmelte Gus, während sein Blick auf etwas hinter Oksas Rücken gerichtet war.
    Oksa drehte sich um: Abakum stand da. Der Feenmann hatte wieder seine menschliche Form angenommen und zupfte sich gerade ein Stück Farn aus dem kurzen Bart.

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