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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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den Anhängern der Huldvollen und den Treubrüchigen, angeführt von Orthon, trieben den Zuschauern im Wohnzimmer am Bigtoe Square die Tränen in die Augen.
    Vor dem Hintergrund des Kriegsschauplatzes fanden die Aufräumarbeiten statt: Leichen wurden im staubigen Gras aufgereiht – Grässlons, Totenkopf-Chiropter, Zebraschlangen, blaue Rhinozerosse, Silbertiger. Aber auch Getorixe, Merlikoketten, ein paar Kapiernixe, alle niedergemäht in der Schlacht. Eine Reihe von Menschen hoben die toten Geschöpfe nacheinander auf und beerdigten sie mit demselben Respekt, egal, ob sie dem Clan der Huldvollen oder dem der Treubrüchigen angehört hatten. Der Friedhof war riesig, und es waren bereits zahlreiche Grabsteine und einfache Steinplatten darauf errichtet worden: Darunter lagen die Menschen begraben, die im Neuen Chaos ihr Leben gelassen hatten. Unwillkürlich überlief Oksa ein Schauder, als sie diese Bilder erneut sah. Zwar war ihr bewusst, dass viele Menschen getötet worden waren, doch erst im Träumflug begriff sie das gesamte Ausmaß der Verluste. Während ihr die traurigen Zeilen eines Songs in den Sinn kamen, fing das Filmauge zu zittern an …
    How fortunate the man with none …
    Oksa wischte sich kurzerhand über die Augen und hielt sich die Nase zu. »Du bist nicht die Einzige … Reiß dich zusammen!«, schalt sie sich im Stillen.
    Das Filmauge gehorchte Oksas Willen und wurde wieder scharf. Alles war grau und von Rauchschwaden durchzogen. Die herrliche Vegetation, welche die Junge Huldvolle mit Unterstützung ihrer mit dem Gründaumen gesegneten Gefährten hatte sprießen lassen, war mit Asche bedeckt. Die schwärzlichen Fetzen der verkohlten Ägide hingen wie makabre Trauerflore an den Zweigen und wurden von den für ihre Putztalente bekannten Schmutzfatzen und Wuschelinen mit penibler Sorgfalt aufgelesen.
    Weiter entfernt, hinter den Grabstätten, waren die quader- oder kuppelförmigen Häuser, welche die Bewohner so entschlossen wieder aufgebaut hatten, in großer Zahl niedergebrannt. Um die Ruinen herum waren Gestalten damit beschäftigt, den Schutt zu entsorgen, der von den Geschöpfen zu einem riesigen Steinbruch am Rand der Goldenen-Mitte gekarrt wurde. Alle halfen tatkräftig mit, die Aufräumarbeiten kamen rasch voran, doch sie spielten sich in einer bedrückenden Stille ab. Einer der eifrigsten Arbeiter war Pierre Bellanger. Als Gus seinen Vater erblickte, entfuhr ihm ein rauer Schluchzer. Oksa wollte ihm tröstend zureden und wandte sich zu ihm um, jedoch mit unmittelbaren Folgen für das Filmauge: Die Bilder verschwanden so schlagartig, als wäre der Strom ausgefallen.
    »Oksa, konzentrier dich!«, bat Pavel seine Tochter.
    »Deinem Vater geht es gut«, sagte Oksa knapp und lächelte Gus beruhigend zu. »Und deiner Mutter auch, du wirst sehen … Sie machen ihre Sache großartig, alle beide.«
    Sie fixierte aufs Neue die improvisierte Leinwand und konzentrierte sich eine Weile auf Pierre. Schließlich bewegte sich das Filmauge weiter und zeigte, was Oksa bei ihrem Träumflug über Die-Goldene-Mitte und die Gläserne Säule hinweg gesehen hatte: Die oberen Stockwerke der Säule waren durch die Säurebomben der Treubrüchigen schwer beschädigt worden. Das Filmauge tauchte wieder in die halbkreisförmig um die Säule angeordneten Straßen hinunter und zeigte jedem der Abgewiesenen die Menschen, an denen er ganz besonders hing: Cockerell, Takashi, Olof, Léa, den kleinen Till …
    Dann kam ein großes, rechteckiges Gebäude ins Bild, das Oksa während ihrer kurzen Regierungszeit viel zu selten hatte besuchen können.
    »Das Hildegard-Genesium!«, rief Abakum mit heiserer Stimme.
    Das Auge zeigte Aufnahmen aus dem Inneren des Krankenhauses von Edefia, das die Huldvolle Annamira nach der berühmten Heilkundigen Hildegard von Bingen benannt hatte.
    Obwohl das Gebäude zahlreiche Schäden aufwies, waren die Räume überfüllt mit verletzten Menschen und Geschöpfen. Doch wie schon in den Wohngebieten, so war auch hier der ungebrochene Wille des Volkes von Edefia zu spüren, ihre Welt wieder instand zu setzen. Ob es darum ging, die Häuser aufzubauen, die Spuren des Chaos zu beseitigen oder körperliche Wunden zu versorgen: Jeder ging mit stiller, aber unerschütterlicher Entschlossenheit zu Werke. Am Ende eines Flurs tauchte Brune auf, ihre Erscheinung würdevoll wie eh und je, auch wenn sie jetzt eine große, fleckige Schürze trug. Kukka seufzte auf, als sie ihre Großmutter sah, und schaute ihr mit

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