Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
geben könntest? Nur für mich?«
Oksa schenkte ihm ein mattes, aber freundliches Lächeln.
»Wenn du magst. Es gibt ja wirklich eine Unmenge von Dingen, die ich dir zeigen könnte.«
»Dann vergiss bitte nichts davon, weil ich nämlich zu gerne alles sehen würde!«
Oksa tippte sich mit der Fingerspitze an die Stirn.
»Keine Sorge«, murmelte sie müde. »Ist alles da drin.«
Ein bröckelndes System
A uf die seit Jahrzehnten krisengeschüttelten Finanzmärkte hatten sich die jüngsten Katastrophen wie ein Wirbelsturm der Kategorie vier ausgewirkt: große Schäden, aber nichts, was nicht wieder repariert werden konnte.
In allen Winkeln der Welt, auf der Nord- wie auf der Südhalbkugel, bemühten sich die Menschen unverdrossen darum, das Leben wieder in normale Bahnen zu lenken, wenn auch in dem Bewusstsein, dass das, was verloren war, sich niemals voll und ganz wiederherstellen lassen würde. Durch die Ereignisse der vergangenen Monate hatten sich die Prioritäten radikal verschoben: Es zählte nur noch das Überleben. Man kümmerte sich um die Nahrungsbeschaffung und um ein Dach über dem Kopf, der Rest war zweitrangig. Der Konsum beschränkte sich somit auf die grundlegendsten Güter, was die bereits schwer getroffene Weltwirtschaft zusätzlich ausbremste. Unzählige Fabriken waren zerstört worden, und ihr Wiederaufbau würde dauern.
Die Knappheit an Waren löste unvermeidlich einen perversen Effekt aus: Die Spekulation blühte. Für jene, die die Produktion von Lebensmitteln und Baumaterialen kontrollierten, war die Versuchung enorm, von der Situation zu profitieren. Da die staatlichen Institutionen und Kontrollsysteme nicht funktionierten, florierte der Schwarzmarkt. An der staatlichen Kontrolle vorbei entstanden in der Hand einzelner Individuen ganze Handelsimperien – während die Bevölkerung darbte, gelegentlich rebellierte, aber letztendlich machtlos war. Manche Menschen, deren Häuser ausgeraubt worden waren, verlegten sich selbst aufs Plündern und schufen Netzwerke, die besser organisiert waren als jede staatliche Einrichtung.
Doch dann kamen allmählich auch die Regierungen wieder ihren Aufgaben nach. Transportwesen, Gesundheitssystem, Banken, Justiz, Handel … Die Gesellschaft fand ihr Fundament wieder, ihre Orientierungspunkte, und kehrte zu einer gewissen Ordnung und Ausgeglichenheit zurück.
Ein deutliches Anzeichen dafür, dass alles wieder seinen altbekannten, gewohnten Gang zu gehen begann, war die Wiedereröffnung der großen Börsenplätze. Die Spekulation wurde nicht etwa abgeschafft, sondern gewissermaßen legitimiert, und der Handel mit Grundlebensmitteln stieg in immer schwindelerregendere Höhen. Je knapper die Güter waren, umso höher die Preise.
Doch selbst diese Höhenflüge erwiesen sich an dem Tag als lächerlich, als die Börsen von New York, Paris und Tokio von einem Fieber erfasst wurden, das in der gesamten Börsengeschichte seinesgleichen suchte. Jede Minute brachte einen neuen Rekordwert – und füllte die Taschen einer winzigen Minderheit. Und während sich die potenziellen Gewinner noch die Hände rieben, steckten sich die Börsen gegenseitig an, und die Kurse brachen plötzlich mit derselben Geschwindigkeit ein, in der sie bis vor Kurzem noch gestiegen waren.
Ein gigantischer Börsencrash riss die Finanzmärkte in den Abgrund. Die kolossalen Vermögen weniger Spekulanten schmolzen wie Schnee in der Sonne, und niemand konnte etwas dagegen tun. Sicher war man sich nur in einem Punkt: Trotz der extremen Überhitzung des Marktes hätte dies niemals passieren dürfen.
Jedenfalls nicht in diesem Ausmaß.
Umgehend wurden die renommiertesten Experten mit Untersuchungen beauftragt. Und sie kamen zu dem Ergebnis, dass an allen strategisch wichtigen Börsenplätzen außergewöhnliche Operationen in Gang gesetzt worden waren: Mit astronomischen Summen waren zeitgleich Millionen Tonnen von Weizen, Kakao, Zucker, Erdöl und anderen Rohstoffen aufgekauft worden.
Die Folge war, dass die weltweiten Vorräte beängstigend schrumpften, während die Nachfrage weiter wuchs. Die sowieso schon exorbitanten Preise zogen nochmals drastisch an, und unter den Menschen breitete sich Panik aus. Wie sollte man das überstehen? Wie überleben?
Die Besitzer dieser Vorräte machten sich, ohne dass man dem irgendwie hätte Einhalt gebieten können, die Massenhysterie zunutze und verkauften in einem ungewöhnlich kurzen Zeitraum ihre gesamten Waren wieder. Auf den Finanzmärkten herrschte
Weitere Kostenlose Bücher