Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
Durchscheinenden dürften ihnen die Entscheidung erleichtern. Bis jetzt wollten sie mich nicht als einen der Ihren ansehen. Nun, es wird sich ja herausstellen, ob sie immer noch so denken, wenn es in ihren erbärmlichen Ländern nichts mehr zu essen gibt und meine Geschöpfe über eine Stadt nach der anderen herfallen! Dann werden sie vor mir im Staub kriechen, werden ihre Nichtigkeit und meine Überlegenheit anerkennen. Ich werde mich als Wohltäter des Volkes erweisen, und endlich wird Gerechtigkeit herrschen!«
Seine Zuhörer malten sich schon aus, welche unglaublichen Aussichten diese zukünftige Welt bot, in der sie selbst bereits eine wichtige Rolle spielten. Jedenfalls unter der Bedingung, dass sie sich weiterhin klug verhielten und die Erwartungen ihres Meisters erfüllten. Nur dann würden sie Teil dieser neuen Welt sein.
Das hatten alle sehr genau verstanden.
Alle außer einem ehemaligen Auftragskiller, der in seiner Branche als der Beste angesehen wurde und offenbar unter einem unbändigen Geltungsdrang litt.
»Wer waren diese Leute bei den Niagarafällen, Meister, die offenbar über dieselben Gaben verfügen wie Sie?«, fragte er.
Orthon erstarrte und warf ihm einen derart finsteren Blick zu, dass der Mann erschrak und stammelnd hinzufügte: »Entschuldigung … Ich wollte ja nur wissen, … ob es noch andere Menschen gibt, die so sind wie Sie und Ihre Söhne.«
Totenstille folgte auf diese Worte. Eine unsichtbare Kralle legte sich um den Hals des Mannes, er wurde hochgehoben, flog mehrere Meter durch die Luft und krachte brutal gegen die Wand am anderen Ende des Raumes. Ein grauenhaftes Knacken war zu hören, dann senkte Orthon die Hand. Niemand rührte sich, alle blieben so reglos und unbewegt stehen wie Gregor und Tugdual.
»Was einige von euch bei den Niagarafällen gesehen haben oder gesehen zu haben glauben, ist nicht mehr als ein Steinchen im Schuh«, sagte Orthon schließlich mit harter Stimme. »Lästig, aber nicht weiter hinderlich.«
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, holte tief Luft und schloss: »Niemand auf der Welt gleicht mir und meinen Söhnen. Niemand! Ist das klar?«
Als Antwort ertönte ein Schlachtruf, einstimmig und mächtig. Auf den leblosen Körper am Boden achtete niemand mehr.
Ein groß angelegtes Täuschungsmanöver
A uf Abakums Anwesen liefen Fernsehen und Radio Tag und Nacht, und mit jeder Minute, die verstrich, sank die Hoffnung der Hausbewohner.
Mittlerweile hatte die ganze Welt die furchtbaren Bilder gesehen, hatte miterlebt, wie sich die Jugendlichen scharenweise ins tosende Wasser der Niagarafälle stürzten.
Und sie hatte erfahren, dass exakt fünftausendzweihundertachtunddreißig Menschen, die meisten von ihnen unter zwanzig, in dem Wasserfall umgekommen waren und dass der Bandleader von
New Hope
die Verantwortung für den Massenselbstmord trug.
Bisher war noch nichts über ihn bekannt. Es schien, als hätte er gar nicht existiert, bevor er urplötzlich zum Idol einer ganzen Generation geworden war. Doch nach und nach sickerten Informationen aus Finnland durch, woher der junge Mann offensichtlich stammte. Erinnerungen wurden wach, Zungen lösten sich. Manche kannten ihn nur vom Sehen, andere auch persönlich und hatten ihn teilweise sogar angehimmelt, obwohl er noch sehr jung gewesen war.
Die Leute erfuhren, wer er war, dass ihn seltsame Phänomene von jeher faszinierten und er schon früher mit der Manipulation von Menschen experimentiert hatte. Die gruseligsten Geschichten aus seiner Zeit als »okkulter Magier« wurden hervorgekramt und breitgetreten. Da war die Rede von einer apokalyptischen Sekte, von Satanismus, von kollektiven Halluzinationen durch neuartige Drogen … Auf der Suche nach einem Grund für die Tragödie wurde eine Vielzahl von Möglichkeiten in Betracht gezogen. Doch das Ergebnis blieb immer dasselbe: Innerhalb weniger Minuten war Tugdual Knut zu einem der schlimmsten Massenmörder der Welt geworden.
In seinen Songs hatte er es bereits besungen, und jetzt war er gestorben, wie er gelebt hatte: verloren in der Finsternis.
Lost in darkness.
In den Medien gab es zahlreiche Reportagen über Tugdual und seine Familie. Doch daneben wurde die Berichterstattung von einem weiteren Thema beherrscht. Ähnlich wie bei den Gefängnisausbrüchen im Herbst hatten sich auch bei den Ereignissen an den Niagarafällen Zeugen gefunden, die über rätselhafte, übernatürliche Phänomene berichteten. Es war die Rede von menschenähnlichen
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