Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
»Reiß dich also zusammen, und tu ausnahmsweise einmal, worum man dich gebeten hat.«
Oksa warf ihm einen halb beleidigten, halb provozierenden Blick zu.
»Okay, ihr könnt loslegen!«, erklang Galinas Stimme.
Nacheinander vertikalierten die drei jungen Rette-sich-wer-kann vorsichtig zum Hubschrauber, wo Gus und Barbara sie zu beiden Seiten der weit geöffneten Schiebetür erwarteten. Einer nach dem anderen wurde ins Innere gezogen und von Marie, Niall und Galinas Tochter zum Aufwärmen in eine Rettungsdecke gewickelt.
»Mama!«
Als Oksa sich an sie schmiegte, wirkte Marie schlagartig um zehn Jahre jünger.
»Untersteh dich, mir so was noch einmal anzutun!«, schimpfte sie, konnte jedoch ihre Freude über das Wiedersehen mit ihrer Tochter nicht verbergen. »Hast du verstanden?«
Statt zu antworten, gab Oksa ihr einen Kuss auf die Wange.
Dann war Abakum an der Reihe, der sich an Pavels Rücken festhielt. Beide Männer ließen sich auf die Sitze sinken.
Endlich konnte Gus die Tür zuschieben. Mit strahlender Miene drehte er sich um.
»Diesmal habt ihr uns wirklich einen Riesenschreck eingejagt.«
Er ließ den Blick über die Gruppe schweifen, bis er bei Oksa angelangt war.
»Du hast dich also wieder mal zu einer gewagten Aktion hinreißen lassen, stimmt’s?«
Sie hielt seinem Blick stand. »Sieht ganz so aus!«
Er setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. Die Rettungsdecke knisterte, als sie sich an ihn lehnte. Ihre feuchten Haare strichen über seine Wange.
»Du riechst nach Fisch«, flüsterte er und streifte ihre Stirn mit den Lippen.
»Mein neues Parfüm. Gefällt es dir?«
»Und wie!«
Sie schmiegte sich noch enger an ihn, hob den Kopf und suchte seinen Mund.
Ihre Lippen trafen sich.
Der Kuss, der folgte, war ihr bisher längster und leidenschaftlichster.
Es fiel Oksa schwer, sich von Gus zu lösen – und das, obwohl die Rettungsdecke knisterte, sich alles klebrig anfühlte, sie nach Fisch roch, alle Blicke auf sie beide gerichtet waren, der Hubschrauber dröhnte und wackelte und das kleine Krakeel unablässig Längen- und Breitengrade herunterleierte.
»Ähem …«, räusperte sich jemand neben ihr.
»Was ist denn, mein lieber Plemplem?«
»Kennt meine Huldvolle den Wunsch, einige Schlucke heißen Tee zu sich zu nehmen?«
Ihr Plemplem hielt eine Thermosflasche fest, die in seinen Händen eher wie eine gefährliche Waffe wirkte, so schwankend hielt er sich im Gleichgewicht. Oksa nahm das Angebot dankend an. Alle außer ihr und Gus schlürften bereits genüsslich das stärkende Getränk. Barbara, Mortimer, Zoé, Niall, Andrew, Galina, ihre gemeinsame Tochter, Abakum … Und nicht zu vergessen ihre Eltern, die sich erleichtert in den Armen lagen und Oksa nicht aus den Augen ließen.
Sie lächelte ihnen zu.
Die Gefahr war groß gewesen.
Doch wieder einmal hatte sich ihr Zusammenhalt als ihre größte Stärke erwiesen.
Jeder für sich
N ach dem Konzert an den Niagarafällen war Abakum so geistesgegenwärtig gewesen, einen der kleinen Behälter einzusammeln, deren Inhalt die Männer in Schwarz nach dem Konzert über der Menschenmenge ausgeschüttet hatten. Nun nahm der Feenmann in seinem granukologischen Labor – eine Art Streng-vertrauliches-Atelier im Keller seines Anwesens – eine Analyse vor.
Er war darauf gefasst, dass die Ergebnisse nicht gerade erfreulich sein würden. Doch sie waren noch viel schlimmer als erwartet. Orthons Größenwahn kannte wirklich keine Grenzen mehr.
»Ihr habt gut daran getan, euch mit einem Spongax-Befähiger zu schützen!«
Oksa, Mortimer und Zoé sahen ihn voller Neugier an, während Abakum auf ein Blatt zeigte, auf das er eine große Menge Zeichen, Zahlen und unverständliche Buchstaben gekritzelt hatte.
»Orthons Männer haben auf seinen Befehl hin diese armen Jugendlichen mit einem Gas besprüht, das eine hohe Konzentration Oxytocin enthält«, erklärte er.
»Oxytocin?«, fragte Oksa erstaunt.
»Aha, das ›Liebeshormon‹ ist also zurück!«, murmelte Gus. »Hab ich es mir doch gedacht.«
Nun wollten alle mehr wissen.
»Das hängt doch mit den Durchscheinenden zusammen, nicht wahr?«, fragte Pavel.
Abakum bestätigte seine Vermutung mit einem Nicken.
»Du meinst wohl die Flüssigkeit, die ihnen aus der Nase rinnt, wenn sie ihren Opfern die Liebesgefühle rauben«, ergänzte Oksa und kaute nervös an den Fingernägeln.
»Genau«, sagte Abakum. »Diese Flüssigkeit enthält eine Menge Oxytocin. Angeblich spielt dieses
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