Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
betrachtete ihn kühl. »Mir kommen gleich die Tränen«, sagte er mit einem ironischen Grinsen.
Daraufhin hob Ocious gebieterisch die Hand.
»Schluss mit den Streitereien!«, rief er mit durchdringender Stimme. Dann wandte er sich an Orthon: »Anstatt hier selbstgefällige Reden zu schwingen und mir Vorwürfe zu machen, mein Sohn, tätest du besser daran, uns von deinem offenbar so reichen Erfahrungsschatz profitieren zu lassen. Beweise uns doch, dass deine Methode erfolgreicher ist als meine. Wenn ich es falsch angepackt habe, dann zeig mir, wie man es besser macht. Was schlägst du vor?«
Und dann lauschte Ocious den interessanten Theorien seines Erstgeborenen, an den er nie so recht hatte glauben wollen. Orthon erzählte, was er während seiner Jahre im Da-Draußen alles beobachtet und aus den dortigen politischen und ideologischen Umwälzungen gelernt hatte. Vor allem dank seiner Arbeit für den einflussreichen amerikanischen Geheimdienst CIA kannte er die Mechanismen der Macht von innen, wusste um die Strategien der Mächtigen, egal ob es große Demokraten oder grausame Diktatoren waren. Ocious unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, und je weiter Orthons Erzählung durch die Jahrzehnte und quer über die Kontinente voranschritt, desto nachdenklicher wurde er. Als ihm aufging, wie sehr er selbst so manchem verabscheuungswürdigen Staatenlenker im Da-Draußen glich, blinzelte er überrascht. Und es erstaunte ihn, ausgerechnet von dem Sohn, den er immer nur für einen Schwächling gehalten hatte, so viel Neues zu erfahren.
Und so rang sich Ocious, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Ratlosigkeit, zu einem Zugeständnis durch, das noch vor ein paar Tagen undenkbar gewesen wäre: Er war endlich bereit, Orthon sein Vertrauen zu schenken. Und dieser zögerte keinen Augenblick, diese Gunst zu nutzen.
Krisensitzung
G
anz ehrlich, Papa, wir waren vorsichtig!«
Oksa blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten.
»Ich glaube dir ja, Oksa«, sagte ihr Vater schließlich. »Das ist auch gar nicht das Problem.«
Oksa sah ihn fragend an.
»Jetzt weiß Ocious, dass du hier bist. Und das ist gar nicht gut.«
Die Mienen der Aufständischen um sie herum verdüsterten sich. »Wir sind bereit, unser Leben zu geben, um unsere Junge Huldvolle zu retten!«, rief jemand.
Andere stimmten ein, Frauen und Männer, während Oksa ein Schauder über den Rücken lief.
»So etwas sollt ihr nicht sagen«, murmelte sie.
»Ocious wird alles tun, um dich aufzuspüren«, sagte Abakum. »Und wir werden alles tun, damit ihm das nicht gelingt. Aber vielleicht sind die Kräfteverhältnisse gar nicht so vorteilhaft für ihn, wie er denkt …«
»Wie meinst du das?«, wollte Oksa wissen.
»Leute wie Ocious neigen dazu, ihre Gegner zu unterschätzen. In der Vergangenheit hat er zwar mit dieser Einschätzung oft recht behalten, aber jetzt wendet sich das Blatt vielleicht. Ich glaube, dass das Verhalten unserer Freunde aus Laubkroning, die dich geschützt haben, ihn tief verunsichert hat. Mit Opposition kann er im Grunde nicht umgehen, so autoritär er sich auch gebärden mag. Das ist der wunde Punkt der Tyrannen: Ihre Macht gründet hauptsächlich auf der Angst, die sie verbreiten. Das Volk schweigt, weil es glaubt, keine andere Wahl zu haben. Doch sobald ein Sandkörnchen ins Getriebe dieses Systems gerät, kann es zusammenbrechen.«
Oksa machte ein zweifelndes Gesicht.
»Ocious kann uns trotzdem Schlimmes antun«, gab sie zu bedenken. »Er hat viele Soldaten und Waffen und die Granuk-Spucks aller Bewohner von Edefia. Was kann man dagegen schon ausrichten? Also, ich finde, die Kräfteverhältnisse sind alles andere als ausgeglichen. Für uns ist das Risiko viel größer als für ihn.«
Oksa schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: »Es kommt mir vor, als ob sich da ein richtiger Krieg anbahnt, und das macht mir Angst.«
Tugdual ging zu ihr und nahm ihre Hand. Pavel sah sie einfach nur an, und eine tiefe Traurigkeit lag dabei in seinen Augen.
»Oksa, meine liebe Kleine«, sagte Abakum ruhig. »Glaub an dich. Und an uns alle.«
Dann wandte er sich an die Versammelten:
»Meine Freunde, uns stehen schwierige Zeiten bevor, aber ich bitte euch, das Vertrauen nicht zu verlieren! Und selbst wenn ihr glaubt, alles sei hoffnungslos, vergesst nicht, dass wir geheime Verbündete haben!«
Er sah einem nach dem anderen fest in die Augen. »Denkt ja nicht, dass ich euch mitten in der Gefahr im Stich lasse, sondern behaltet tief in eurem Herzen
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