Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Lächeln.
Den ganzen Nachmittag war Oksa in gedrückter Stimmung. Im Gegensatz zu Gus war sie nicht der Meinung, dass McGraw ihren Freund weggesetzt hätte, wenn sie ihn nicht provoziert hätte. Und wenn sie daran dachte, wie Gus sie in seiner typisch großzügigen Art auch noch aufmunterte und von jeglicher Schuld freisprach, schämte sie sich umso mehr. Verhielt sich so eine echte Freundin? Nachdem sie bemerkt hatte, dass McGraw sie einfach ignorierte, hätte sie sich doch denken können, dass er sich eine andere Zielscheibe suchen und sich bei nächster Gelegenheit auf Gus einschießen würde. Er hatte ihn nicht nur von ihr weggesetzt, sondern ihn auch vor allen anderen bloßgestellt. Hätte sie doch bloß nachgedacht, bevor sie handelte. Sie hatte wirklich noch viel zu lernen. Und nicht bloß in Granukologie!
Eine unfreundliche Begegnung
N
och am selben Tag, spätnachmittags, bot sich für Oksa die Gelegenheit, ihrem Freund zu zeigen, dass er sich auf sie verlassen konnte. Sie waren gerade dabei, ihre Sachen in ihren Schließfächern zu verstauen, als Hilda Richard – Spitzname Neandertalerin – sich von hinten heranschlich, Gus heftig ins Kreuz boxte und ihm ins Ohr schrie: »Da ist ja der miese Abschreiber!«
Gus fuhr herum. Er schaffte es, sich zu beherrschen, und sagte spöttisch, während er Hilda mit ihrer feisten Figur von oben bis unten musterte: »Ach, wen haben wir denn da? Die überaus zarte und zierliche Hilda Richard! Was für eine Freude, dich zu sehen, liebe Hilda! Was verschafft mir denn die Ehre?«
»Wage es bloß nicht, von mir abzuschreiben, sonst schlag ich dir die Birne ein!«, erwiderte sie feindselig.
»Von dir abschreiben? Nie im Leben!«, antwortete Gus. »Ich will doch nicht nur Dreier und Vierer in sämtlichen Fächern.«
»Halt die Klappe!«, gab Hilda zurück. »Und lasst mich in Frieden, du und deine Freundin, diese Angeberin von Pollock, die sich für so superschlau hält.«
»Lass du uns in Ruhe, du Neandertalerin!«, sagte Oksa. Ihre Augen loderten vor Wut.
»Und versuch lieber mal, in der Evolution ein Stück weiter voranzukommen. Du kannst nicht ewig in der Steinzeit hocken bleiben«, setzte Gus hinzu.
»Verzieh dich doch selber in die Steinzeit, dreckiges Schlitzauge!«, zischte sie, ehe sie auf dem Absatz kehrtmachte.
»Das ist ja wohl das Letzte!«, murmelte Oksa außer sich. »Na, die kann gleich was erleben!«
Sie griff in die Innentasche ihrer Schuluniform und holte etwas hervor – ihr Granuk-Spuck!
»Gib mir Deckung, Gus!«
»Ich glaub’s nicht! Du hast dein Granuk-Spuck in die Schule mitgebracht? Bist du verrückt? Du kannst das doch hier nicht benutzen!«, rief Gus erschrocken. »Und wenn dich jemand sieht?«
Aber damit konnte er eine rachsüchtige Oksa nicht aufhalten. Sie lächelte ihn mit einem tollkühnen Glitzern in den Augen an und sagte, ehe sie ihr Blasrohr an die Lippen setzte, im Stillen die Formel:
Dermaflamm, Dermaflamm!
Dieser Saft voller Glut
Soll dich kratzen bis aufs Blut.
Dann zielte sie auf ihre unausstehliche Mitschülerin, die sich gerade über den Flur entfernte, und pustete.
Sofort fing die Neandertalerin an, die wildesten Verrenkungen zu vollführen, und schrie: »Hilfe, das juckt wie verrückt! Das juckt so fürchterlich!«
Alle Schüler in der Nähe drehten sich schlagartig um, kamen ihr jedoch nicht zu Hilfe, wie sie es bei jedem anderen getan hätten, sondern standen bloß lachend um sie herum.
»Es juckt so! Ich halte es nicht aus!«, kreischte die Neandertalerin. Ihr Gesicht und ihre Arme waren – wie vermutlich ihr ganzer Körper – mit knallroten Flecken übersät.
»Das ist die Bosheit, die rauskommt«, bemerkte ein Schüler.
Oksa und Gus hielten sich schön brav von dem Spektakel fern und lachten von Herzen.
»Ein Nessel-Granuk?«, fragte Gus leise.
»Dermaflamm«, bestätigte Oksa, steckte ihr Granuk-Spuck zurück in sein Etui und fuhr dem Ringelpupo, das während der ganzen Szene den Aufstand geprobt hatte, beruhigend über den Kopf.
Sie hob eine Hand und ihr Freund schlug mit einem komplizenhaften Lächeln ein.
Der Rest der Woche verlief ruhiger als ihr Auftakt. Die peinliche Episode mit dem hungrigen Ringelpupo war Oksa eine Lehre gewesen, und so packte sie, um in Zukunft für alle Fälle gewappnet zu sein, ihr gesamtes Handwerkszeug als Junge Huldvolle in eine kleine bestickte Umhängetasche, die sie nun immer bei sich trug. Dort hinein steckte sie auch ihr nagelneues Handy, das sie von ihren
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