Oksa Pollock. Die Unverhoffte
haben, nicht gerade Glück.«
Der Gedächtnisradiergummi
A
m nächsten Tag saßen die Pollocks und die Bellangers in bedrückter Stimmung beim Mittagessen in der Küche am Bigtoe Square zusammen, als es klingelte. Pavel ging zur Tür und führte kurz darauf zwei Besucher herein: Es waren die beiden Polizisten, die Oksa vor ein paar Tagen in der Schule befragt hatten!
Oksa hatte plötzlich Mühe, zu schlucken, und spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Was hatten die denn hier zu suchen? Bei ihr zu Hause! Die letzte Frage, die sie ihr gestellt hatten, fiel ihr wieder ein: »Wir würden gern wissen, ob du eine Verwandte des Dirigenten Leomido Fortensky bist.« Natürlich hatte sie bejaht. Sie hatte sich zwar über die Frage gewundert, war aber vor allem froh gewesen, das heikle Gespräch endlich hinter sich zu haben.
Als sie später noch einmal darüber nachdachte, hatte sie sich gesagt, dass die Polizisten vielleicht einfach bloß Liebhaber klassischer Musik waren … Aber im Grunde war ihr klar gewesen, dass die Frage im Zusammenhang mit den Morden an Lucas Williams und Peter Carter stehen musste. Polizeilogik verpflichtet.
In den darauffolgenden Tagen war sie so erschöpft gewesen, dass sie diesen Gedanken in irgendeinen hinteren Winkel ihres Gehirns verbannt hatte. Und nun standen die Polizisten bei ihnen im Wohnzimmer. Das konnte nur eines bedeuten: dass die Verwicklung ihrer Familie in all diese furchtbaren Vorgänge offensichtlich war! Die Schlinge zog sich zu, das war nicht mehr zu leugnen.
»Entschuldigen Sie, dass wir Sie beim Essen stören«, hob einer der Polizisten an, während sie beide auf einem Sofa im Wohnzimmer Platz nahmen, zu dem Pavel sie geführt hatte. »Aber wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Darf ich Ihnen meine Mutter Dragomira Pollock vorstellen, meine Frau Marie und meine Tochter Oksa«, sagte Pavel so beiläufig, wie er nur konnte, jedoch mit etwas höherer Stimme als gewöhnlich.
»Guten Tag, Oksa«, sagte der andere Polizist ausgesprochen freundlich. »Wir haben ja an der St.-Proximus-Schule bereits miteinander gesprochen.« Und mit einem Blick in die Küche, deren Tür weit offen stand, fügte er hinzu: »Dürfte ich fragen, wer die anderen Anwesenden sind?«
»Freunde von uns, Jeanne und Pierre Bellanger und ihr Sohn Gus«, antwortete Pavel.
»Die Familie Bellanger?«, fragte der Polizist nach und sah seinen Kollegen vielsagend an. »Mit ihr möchten wir ebenfalls sprechen. Wären Sie so freundlich, sie zu unserer Unterhaltung dazuzubitten?«
Beunruhigt ging Pavel in die Küche, um die Bellangers zu holen.
»Was können wir für Sie tun, meine Herren?«, fragte Dragomira ausgesprochen herzlich.
»Waren Sie auf irgendeine Weise mit einem gewissen Lucas Williams bekannt?«
Alle schauten sich mit Unschuldsmienen an und schüttelten dann den Kopf.
»Lucas Williams? Nein, das sagt mir nichts«, antwortete Dragomira mit der größten Arglosigkeit.
»War das nicht ein Mathelehrer an der St.-Proximus?«, sagte Oksa auf einmal. »Ein Mitschüler hat uns erzählt, dass er ermordet wurde.«
Die Polizisten blickten sie aufmerksam an. »Stimmt genau, Oksa. Du bist sehr gut informiert. Sagt Ihnen dann vielleicht der Name Peter Carter etwas?«
»Der wurde auch ermordet!«, rief Oksa zum Erstaunen der Polizisten.
Gus sah Oksa irritiert an. Dieses Mädchen ist unverbesserlich!, schoss es ihm durch den Kopf.
Oksa hingegen wirkte ganz gelassen. »Die Todesursachen sind identisch«, fuhr sie fort. »Ihre Lungen sind kollabiert. Es stand ganz groß in den Zeitungen.«
»Stimmt ganz genau«, merkte einer der Polizisten an. »Und wir sind heute hier, weil wir Grund zu der Annahme haben, dass der Journalist Peter Carter seit mehreren Monaten Nachforschungen über Ihre Familie angestellt hat.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Pavel mit gerunzelter Stirn.
»Wir haben bei ihm zahlreiche Zeitungsartikel über Ihren Onkel Leomido Fortensky gefunden«, führte der Polizist aus, »sowie verschiedene Unterlagen, die keinen Zweifel am Gegenstand seiner Nachforschungen lassen. Leider wurden diese Unterlagen, nur wenige Tage nachdem Carters Leiche gefunden wurde, gestohlen. Allerdings konnten wir sie uns vorher gründlich ansehen. Darin befanden sich unter anderem ein Familienstammbaum, Fotos und detaillierte Notizen über Ihre Freunde und die Mitglieder Ihrer Familie. Über Sie, Frau Pollock, und Ihren Freund Abakum Olixone. Sie haben einen äußerst namhaften
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