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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Blick über die Schulter, dass niemand sie beobachtete, und schoben die Tür hinter sich zu. In der Kapelle war es dunkel und stickig, eine dicke Staubschicht lag auf den Bänken.
    Draußen brach anscheinend gerade die Sonne zwischen den Wolken hervor, denn plötzlich drangen feine farbige Lichtstrahlen durch die schmutzigen Glasfenster über dem winzigen Altar herein. Es war, als ob die Kapelle nach Jahren der Vergessenheit wieder zum Leben erwachte. Oksa kniff instinktiv die Augen zusammen und nahm ihre Kung-Fu-Angriffspose ein: im Ausfallschritt, die Knie leicht gebeugt, die Hände ausgestreckt vor dem Körper.
    Gus musste unwillkürlich grinsen. »Alles okay? Ist die Luft rein? Also, du schaffst mich wirklich …«
    »Gus, hast du nichts gehört?«
    Oksa packte ihn am Arm. Gus war mit einem Schlag wieder aufs Äußerste angespannt und lauschte mit angehaltenem Atem. Doch ihm fiel nichts Besonderes auf.
    »Vielleicht ein altes Gespenst, das in irgendeinem Winkel herumgeistert«, sagte er.
    Oksa wollte ihn schon mit dem Ellbogen anrempeln, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und lauschte erneut.
    »Entweder ist es das Flüsterlausch oder eine Halluzination«, murmelte sie.
    »Das Flüsterlausch? Das ist wohl die Fähigkeit, sehr leise Geräusche wahrzunehmen, stimmt’s?«
    »Genau«, bestätigte Oksa. »Und glaub mir, im Augenblick funktioniert es wie geschmiert. Komm mal mit. Da ist irgendwas.«
    Gus’ Lust, nachzusehen, hielt sich ziemlich in Grenzen. Dennoch ließ er sich von der abenteuerlustigen Oksa widerwillig ans andere Ende der Kapelle mitziehen, wo es zur Krypta hinunterging.
    »Du hast doch wohl nicht vor, da hinunterzusteigen?«, murmelte er und machte Anstalten, umzudrehen.
    »Ach Gus«, sagte Oksa vorwurfsvoll. »Das ist doch bloß eine Krypta.«
    »Wie bitte??? Bloß eine Krypta? Du hast vielleicht Nerven! Weißt du, was sich in einer Krypta befindet? Särge! Tote! Verstehst du? Verweste Kadaver! Skelette! Leichen! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich da mit dir runtergehe?«
    »Mann, du hast ja richtig Schiss!«, rief Oksa, aber langsam wurde ihr auch ein wenig mulmig zumute. »Na gut … lass uns wieder gehen. – Was ist das?«
    Ein Gesang drang klar und deutlich aus der Krypta herauf. Oksa packte Gus am Arm, der vor Entsetzen wie angewurzelt stehen geblieben war.
    »Los, nichts wie raus hier! Wir hätten hier gar nie reingehen dürfen. Das ist ja Wahnsinn«, stammelte er.
    »Mach dir keine Sorgen, ich bin bewaffnet«, sagte Oksa und zeigte ihm ihr Granuk-Spuck, während sie mit entschlossenen Schritten zur Krypta ging.
    Es ging auf drei Uhr zu, als die Schüler an diesem Dienstagnachmittag auf einmal laute Trommelschläge vernahmen. Die Lehrer versuchten zunächst noch, die Ordnung in ihren Klassenzimmern aufrechtzuerhalten, waren aber nicht weniger neugierig auf die Ursache des Lärms als ihre Schüler. Als dann aber zu dem Tamtam, das vom Hof hereindrang, auch noch ein Gesang anhob und eine Frauenstimme aus Leibeskräften schmetterte: »Ach, welch ein Glück, mich zu sehn, im Spiegel so prächtig und schön!«, stürzten alle zu den Fenstern, um mit eigenen Augen zu sehen, was es mit dieser seltsamen Darbietung auf sich hatte.
    Einige Lehrer vermuteten schon, Monsieur Bontempi hätte eine kleine Ablenkung arrangiert. Andere öffneten die Türen ihrer Klassenzimmer, um herauszufinden, wo der Lärm herkam, und einer erhaschte sogar einen flüchtigen Blick auf eine zarte, blau gekleidete Gestalt, die gerade um die Ecke des Gangs entschwand.
    Oksa und Gus klebten am Fenster ihres Englischraums, als Merlin plötzlich rief: »He, seht mal! Ist das nicht Madame Crèvecœur, da drüben am Springbrunnen?«
    Er sah zu Oksa hinüber, die seinen fragenden Blick mit einem Augenzwinkern beantwortete. Merlin grinste verschwörerisch und erwiderte das Zwinkern. Ein fassungsloses Raunen ging durchs Klassenzimmer. Oksa und Gus verrenkten sich vergeblich den Hals, um von ihrem Fenster aus auf den besagten Teil des Hofs sehen zu können. Allerdings konnten sie klar und deutlich die schrille Stimme vernehmen, die jetzt »Am Brunnen vor dem Tore« sang.
    Gus packte Oksa am Arm und zog sie mit hinaus auf den Gang. Dort beugten sie sich über das Geländer des ersten Stocks und konnten nun den ganzen Hof überblicken.
    »Sie hat es geschafft, Gus«, murmelte Oksa.
    Madame Crèvecœur – denn um niemand anders handelte es sich – feierte ihre Befreiung, indem sie aus voller Kehle sang.
    Als Gus und

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