Oksa Pollock. Die Unverhoffte
ich mit Gus zusammen beschlossen, dir zu Hilfe zu kommen, aber wie es scheint, kommen wir sowieso zu spät. Du brauchst gar niemanden. Du bist einfach die Allerstärkste, Baba!«
»Wer weiß davon, dass ihr hier seid?«
»Äh … niemand«, stotterte Oksa und schaute dabei auf ihre Fußspitzen hinunter.
»Niemand?« Dragomira konnte es kaum glauben. Sie schien zu überlegen, dann schaute sie die beiden Freunde streng an und fuhr fort: »Was ihr gemacht habt, ist sehr unvorsichtig. Euch hätte etwas zustoßen können. Aber nun gut, so unerwartet das Ganze ist, muss ich zugeben, dass es mir nicht ungelegen kommt.«
In diesem Augenblick veränderte sich der Gesichtsausdruck der alten Dame vollständig: Plötzlich wirkte sie höchst zufrieden. Sie legte Oksa entschlossen die Hand auf die Schulter und wandte sich dann an Gus: »Danke, dass du meine Enkelin begleitet hast«, sagte sie mit einer Härte in der Stimme, die die beiden überhaupt nicht an ihr kannten. »Du kannst jetzt nach Hause gehen, deine Eltern machen sich sonst noch Sorgen. Ich habe hier mit Oksa noch etwas zu regeln.«
Dragomira schob Gus mit der flachen Hand weg, um ihm unmissverständlich klarzumachen, dass er den Keller, ja, das Haus verlassen sollte.
Gus’ Verwunderung wuchs immer mehr und er warf Oksa einen verunsicherten Blick zu. Noch nie hatte Dragomira ihn so abgefertigt! Mit einem eigenartig bleiernen Gefühl im Herzen stieg er rückwärts die Treppe hinauf, ohne Oksa aus den Augen zu lassen.
»Na gut, dann … bis später, Oksa. Ich ruf dich an.«
Doch als er oben in der Diele angelangt war und die Haustür erreichte, öffnete er diese nur kurz und ließ sie so laut wie möglich von innen wieder ins Schloss fallen. In der vollkommenen Stille, die darauf folgte, schlich er sich zur Kellertür zurück und stieg auf Zehenspitzen wieder die Treppe hinunter.
»Wo ist denn McGraw, Baba?«, fragte Oksa, nachdem sie gehört hatten, wie die Eingangstür ins Schloss fiel. »Ich hoffe, du hast ihm den Kopf weggepustet.«
»Das würde dir gefallen, was?«, erwiderte Dragomira mit einem kehligen Lacher. »Schau! Er wälzt sich da unten auf dem Boden wie ein Hund.«
Sie zeigte mit dem Finger auf einen separaten kleinen, vollständig finsteren Raum, der an den Hauptkeller grenzte. Im hintersten Winkel dieses mit allerlei Krempel vollgestellten Lochs konnte Oksa die Umrisse einer am Boden liegenden Gestalt ausmachen, die sich vor Schmerzen krümmte. Ein ersticktes Röcheln drang bis an Oksas Ohr und ließ sie frösteln.
»Den Kopf habe ich ihm noch nicht weggepustet, wie du es so schön ausdrückst«, sagte Dragomira. »Aber da du dir das anscheinend wünschst, kann ich deinem Wunsch gern nachkommen, meine liebe Oksa.«
»Also, das war nur so eine Redensart«, stellte Oksa richtig. Sie erschrak darüber, dass Dragomira sie so beim Wort genommen hatte.
»Und wo du nun schon mal zu mir gekommen bist«, fuhr Dragomira fort, ohne Oksas Bemerkung zu kommentieren, »können wir danach endlich gehen. Dann wird alles viel einfacher.«
Oksa betrachtete Dragomira voller Verwunderung. Ihre Großmutter hatte wohl ein Verwirrsalis-Granuk abbekommen, denn irgendwie schien ihr Gehirn ein wenig durcheinander zu sein. Ja, es wurde allerdings höchste Zeit, dass sie hier weggingen und dass Dragomira sich einen ihrer köstlichen, geheimnisvollen Kräutertees zubereitete, der hoffentlich ihre Neuronen wieder an die richtige Stelle bringen würde.
Alarmiert von McGraws Stöhnen, kniff Oksa die Augen zusammen, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Wie sich ihr Erzfeind da wütend auf dem Boden wand, das faszinierte und irritierte sie zugleich. Seltsame Laute durchdrangen die Totenstille des Kellers, unverständliche Laute, aus denen jedoch ein rasender Zorn zu sprechen schien.
Dragomira schob sie ein wenig zur Treppe zurück. »Warte hier auf mich. Es dauert nur eine Minute.«
Dann stellte sie sich groß und breit in den Eingang zu dem stockfinsteren Raum und schleuderte McGraw verächtlich entgegen: »Schau her! Wie du siehst, ist Oksa hier bei mir. So ist der Lauf des Schicksals, der Kreis schließt sich, nicht wahr? Sie wird mich nach Edefia führen, ohne dass uns noch irgendjemand in die Quere kommen kann. Seit über fünfzig Jahren warte ich auf diesen Augenblick. Was sagst du? Du auch? Ja, mag sein, doch meine Ziele haben eine viel größere Dimension als die deinen. Aber bevor ich mit meiner Enkelin endgültig gehe, bekommst du von mir noch
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