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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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idealen Zufluchtsort gefunden zu haben. Die ehemalige Klosterzelle strahlte eine eigenartige, verschwiegene Atmosphäre aus, die ihrem Gemütszustand genau entsprach. Sie saß fast eine Stunde dort, an die Büste eines unbekannten Heiligen gelehnt, im Zwielicht, das durch die bunten Fenster hereinfiel.
    Seit dem Vorfall mit dem grässlichen McGraw war sie zwischen Selbstzweifeln und Verwirrung hin- und hergerissen. Es war dumm von ihr gewesen, dem Lehrer den Stift zu entreißen, das wusste sie. Aber es hatte einen solchen Spaß gemacht, ihn zu ärgern! Sie hatte eine faszinierende Macht gespürt. Was danach geschehen war, hatte allerdings einen viel unangenehmeren Beigeschmack. Nun, da sie alles in Ruhe überdenken konnte, begriff sie, wie unvorsichtig sie gewesen war. Sie hatte keine bestimmte Absicht verfolgt, sondern sich nur von ihrem Gefühl leiten lassen und war dann von den Kräften in ihr überwältigt worden. Und das war schlimmer als alles andere!
    Was habe ich nur gemacht? , fragte sie sich verzweifelt.
    Vor allem der Zusammenstoß mit dem gemeinen Neuntklässler verstörte Oksa. Der Schwachkopf hatte sie zwar zur Weißglut getrieben, doch sie hatte ihm keine Schmerzen zufügen wollen. Wirklich nicht! Sie war sehr wohl in der Lage, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden, auch wenn sie eine blühende Fantasie hatte! Aber als sie dem Fiesling in der Toilette gegenüberstand, hatten sich die Grenzen verwischt. Sie hätte ihm am liebsten die Faust in den Bauch gerammt und ihn vier Meter weit weggeschleudert. Am liebsten . Das musste sie zugeben. Aber nur in Gedanken. Und dann war es in Wirklichkeit passiert, obwohl sie gar nichts gemacht hatte. Wie auch? Und was war mit ihm passiert? Wie war er da auf dem Boden gelandet? Sie hatte ihn nicht mal berührt! Oksa sah den vor der gekachelten Wand zusammengebrochenen Jungen mit der blutenden Nase wieder vor sich. Eine solche Gewalt! Er hätte tot sein können. Hätte sie ihn töten können? Bei dem Gedanken lief es ihr kalt den Rücken hinunter.
    Oksa holte tief Luft. Sie saß immer noch niedergeschlagen auf dem Boden, die Ellbogen auf den Knien. Rötliches Licht drang durch die schmutzigen Scheiben, Staubpartikel tanzten in dem Strahl, der in den seltsamen Raum fiel und bei einem kleinen, schmutzverkrusteten Waschbecken endete. Oksa ertappte sich dabei, dass sie es herausfordernd ansah. Sie richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf den kleinen Wasserhahn. Von dort, wo sie saß, konnte sie ihn nicht genau erkennen, doch er schien verrostet und außer Betrieb zu sein. Trotzdem kam sie auf eine merkwürdige Idee: Sie könnte den Wasserhahn mit der Kraft ihres Willens aufdrehen. Warum nicht? Schließlich musste sie ja irgendwie lernen, wie sie diese Kraft in ihr bewusst einsetzen konnte, um nicht wieder einfach von ihr überwältigt zu werden. Vielleicht konnte sie ja damit ihre Probleme lösen?
    Entschlossen sammelte sie all ihre Gedanken und ihre ganze Energie. Es dauerte nicht lange, bis der Wasserhahn ihrem Willen nachgab … Der Wasserstrahl beschrieb einen eindrucksvollen Bogen durch die Luft, ehe er zu Oksas Füßen auf dem Boden landete. Sie streckte die Hand nach dem Strahl aus, der einen verschlungenen Schnörkel bildete. Das Wasser plätscherte sanft auf ihre Handfläche und spritzte den Ärmel ihres Blazers nass. Es war kaum zu glauben – und hätte realer nicht sein können.

Eine verwirrende Theorie
    W
arte auf mich, Oksa!«
    Gus versuchte seine Freundin einzuholen, die gleich nach der letzten Stunde mit ihren Inlineskates davongestürmt war und sich ihm damit heute zum ungefähr fünfzigsten Mal entzog. Oksa tat so, als hätte sie ihn nicht gehört. Es war gemein von ihr, das wusste sie. Ihr Verhalten war alles andere als freundschaftlich, aber sie wusste nicht, was sie machen sollte. Da haute sie lieber einfach ab.
    Sie fuhr zum St. James’s Park, wo sie sich unter eine Trauerweide am Ufer des Sees setzte und den Enten beim Schwimmen zusah. Die hatten es gut … kein McGraw, der ihnen das Leben schwer machte, kein fieser Neuntklässler, der ihnen in die Quere kam!
    »Ach, da bist du ja!«, sagte sie, als Gus kurz darauf mit verärgerter Miene zu ihr kam.
    »Da bin ich, ja. Und sag mir nur nicht, dass du dich darüber freust, ich würde es dir nicht glauben«, antwortete er scharf. »Wie nett von dir, dass du auf mich gewartet hast!«
    »Entschuldigung! Es war nicht böse gemeint. Ich fühle mich heute nur ein bisschen seltsam.«
    »Das habe ich

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