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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Dragomira still vor sich hin leiden und sich die größte Mühe geben, über den Schock unserer Flucht hinwegzukommen. Abakum half uns unter Einsatz all seiner Kraft, uns an die neuen Lebensumstände zu gewöhnen. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie schlimm ich das alles fand, denn ich wollte eine Stütze für meine kleine Schwester sein, wie ich es meiner Mutter versprochen hatte. Doch ich habe versagt …«
    Dragomira hob die Augenbrauen. »Hör auf, Leomido«, mischte sie sich ein. »Nach all den Jahren solltest du dir endlich keine Schuldgefühle mehr einreden. Ich habe mich doch ganz gut geschlagen, oder?«
    »Ja, sehr gut. Aber bestimmt nicht dank meiner Hilfe«, entgegnete ihr Bruder ernst.
    »Na ja«, meinte Oksa, »immerhin konnten Baba und Abakum nur deinetwegen aus Russland fliehen.«
    »Ganz richtig, meine Duschka«, sagte Dragomira. »Aber bitte sprich weiter, Leomido.«
    »Acht Monate nach dem Großen Chaos, im Sommer 1953, habe ich Europa durchquert und mich in England niedergelassen. Es ist mir nicht schwergefallen, mich in England einzuleben. Wenige Monate nach meinem Umzug nach London bekam ich eine Anstellung bei einem namhaften Orchester und heiratete meine geliebte Lisa. Meine berufliche Laufbahn erlebte einen Aufschwung, während Edefia mehr und mehr aus meinem Gedächtnis verschwand. Aber nicht aus meinem Herzen … Das alles war sehr verwirrend für mich, ich verzehrte mich vor Heimweh, und Abakum und Dragomira fehlten mir schrecklich.
    1955, bei der Geburt Camerons, meines ersten Kindes, wurde ich mir der Bedeutung der Vererbung bewusst. Mir wurde klar, wie wichtig es ist, Spuren dessen zu hinterlassen, was man war. Es dauerte noch einige Jahre, ehe ich von meinen Wurzeln sprechen konnte, erst mit meiner Frau, dann mit meinen Kindern. Es war nicht einfach, das kann ich euch versichern. Als ich meine liebe Dragomira und ihren Patenonkel Abakum endlich wiederhatte, konnte ich viel besser mit meiner Vergangenheit umgehen. Und heute bin ich bereit, dir alles beizubringen, was ich kann, liebe Oksa.«
    »Danke, Leomido«, murmelte Oksa, tief bewegt von der Erzählung ihres Großonkels.
    Sie fragte sich, ob ihr Vater diese Ausbildung ebenfalls erhalten hatte. Offenbar nicht … Leomido hatte doch gesagt, dass er seit Edefia niemanden mehr unterrichtet hatte, oder? Sie wollte ihn gerade danach fragen, als eine vertraute Gestalt an der offen stehenden Tür vorbeiging.
    »Hast du auch Plemplems?«
    »Ja. Ein Pärchen mit ihrem Kind. Sie sind gerade in der Küche und bereiten uns ein Festmahl zu.«
    »Ah!«, rief Gus. »Dann werde ich also auch endlich mal einen Plemplem zu sehen bekommen!«
    »Hoffentlich kochen sie genauso gut wie Babas Plemplems«, sagte Oksa.
    »Ja, du wirst sehen! Sie sind ganz hervorragende Köche! Doch um noch einmal die Einsamkeit zu erwähnen, von der du vorhin gesprochen hast, Gus: Ich fühle mich nicht einsam, ganz einfach deshalb, weil ich gar nicht einsam bin. Dieses Haus ist natürlich abgelegen, aber das ist auch besser so, vor allem für meine Geschöpfe. Auf diese Weise brauchen sie sich nicht zu verstecken und müssen trotzdem keine Angst haben, entdeckt zu werden.«
    »Geschöpfe? Was für Geschöpfe, Leomido?«, fragten Oksa und Gus.
    »Kommt mal mit …«

Ein seltsam bevölkerter Gemüsegarten
    I
ch hoffe doch, dass du deine Boximinor mitgebracht hast, Dragomira«, sagte Leomido.
    »Natürlich. Und da drinnen geht’s hoch her, sage ich dir«, antwortete seine Schwester und klopfte auf die Schultertasche, die sie immer noch eng an sich drückte.
    Sie verließen alle vier den prächtigen Saal und gingen einen Gang mit Bleiglasfenstern auf der einen und schweren, eisenbeschlagenen Türen auf der anderen Seite entlang. Der Gang mündete in einen fensterlosen Raum voller Fächer unterschiedlicher Größe, die innen weich ausgepolstert waren. An diesen Raum schloss sich ein weiterer an, in dem Gartenwerkzeug und Gläser mit Getreide lagerten. An die Steinmauer gegenüber grenzte ein kleiner Garten.
    »Wo sind sie denn?«, fragte sich Leomido. »Ach, vielleicht im Gemüsegarten.«
    Er öffnete die Tür nach draußen und seinen Besuchern bot sich ein überraschender Anblick: Auf dem kleinen Gelände wimmelte es nur so von Geschöpfen, das eine seltsamer als das andere. Lebendige, sprechende Geschöpfe! Manche übernahmen kleinere Arbeiten im Garten, andere polierten die Blätter zappeliger Pflanzen und plauderten dabei mit ihnen und weitere Geschöpfe

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