Olfie Obermayer und der Ödipus
sie zu mir. Und als das Mädchen im Klo verschwunden war, sagte sie: »Daß die Christerl mit-fährt, ist gut für euch! Die wohnt in der Nähe von Gfurt.
Und ihr Papa holt sie sicher ab von der Bahn. Der kann euch mitnehmen. Da habt ihr dann nur noch ein paar Kilometer, zehn oder fünfzehn!«
Nach der nächsten Station kam das Mädchen, das Christerl hieß, wieder zurück. Alle Klos den Zug lang, klagte sie, seien total verdreckt, sie werde lieber bis zu Hause warten.
Die Frau erklärte ihr zuerst, daß es schädlich sei, den
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»Drang zu verhalten«, dann schilderte sie in bewegten Worten unser Großmutter-Problem, und da wurde die Sache ziemlich peinlich! Auf dem Land kennt anscheinend jeder jeden, auch wenn der etliche Kilometer entfernt wohnt. Das Mädchen Christerl war sofort bereit, uns mitzunehmen, aber sie erklärte uns auch sofort zu den Enkelkindern der Frau Huber, weil die in Gfurt die einzige sei, deren Nachwuchs in Wien lebt. Und sie war erstaunt, daß die Huber schon den siebzigsten Geburtstag hatte! Und daß die Huber-Enkel schon so groß seien! Als sie mich auch noch fragte, ob unser Cousin Hubert ebenfalls zur Geburtstagsfeier kommen werde, wußte ich nicht weiter. Ich linste zur Joschi hin. Die saß bleich und zittrig am Fenster und tat, als sei sie an der vorbeiflitzenden Landschaft interessiert.
»Den Hubert kenn ich nämlich gut«, sagte das Mädchen Christerl. »Im Sommer treff ich ihn oft im Bad, da kommen alle Jungen aus der Gegend zusammen!« Ich überlegte noch, ob ich den »Cousin Hubert« zur Geburtstagsfeier erscheinen lassen solle oder nicht, doch da sagte die Joschi:
»Wir haben keinen Cousin Hubert. Unsere Oma ist nicht diese Frau Huber. Unsere Oma wohnt überhaupt nicht richtig in Gfurt. Sie ist nur bei unserem Onkel zu Besuch. Der wohnt in Gfurt.«
Die Frau und das Mädchen Christerl schauten erstaunt.
Schließlich hatte ich ja die ganze Zeit über, als sie mich als Huber-Enkel eingeteilt hatten, nicht protestiert!
»Mein Bruder hört schlecht«, sagte die Joschi. Dazu lächelte sie entschuldigend.
So etwas Vertrotteltes! Am liebsten hätte ich ihr einen Boxer in die Rippen gegeben!
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»Ach so«, sagte die Frau und schaute mich mitleidig an.
»Ach so!« sagte das Mädchen Christerl und schaute auch mitleidig. Dann wollte es von der Joschi wissen, wer unser Onkel sei. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte die Joschi, unser Onkel heiße Johannes Müller und lebe seit ein paar Jahren in Gfurt. Und er sei Übersetzer.
Mir wurde ganz flau im Magen. Gleich, dachte ich mir, gleich wird das Mädchen sagen, daß es in Gfurt doch gar keinen Müller gibt, der Übersetzer ist. Wie drei Ewigkeiten lang kamen mir die paar Sekunden vor, bis das Mädchen Christerl sagte:
»Ach so, zu dem gehört ihr!«
Wahrscheinlich hielten uns die Frau und das Mädchen Christerl für zwei recht irre Stücke. Es muß ja auch merkwürdig wirken, wenn zwei Geschwister plötzlich, ganz oh-ne ersichtlichen Grund, laut und hörbar aufseufzen, lächeln und dann locker und gelöst in die Sitze zurücksinken, als habe man eine Zentnerlast von ihren zarten Körpern entfernt. Gottlob rettete uns der Mann der Frau aus dieser sonderbaren Situation. Er machte einen lauten Schnaufer und riß die Augen auf. Das lenkte die Frau und das Mädchen ab.
»Wo sind wir denn?« fragte er und gähnte. Die Frau lachte und sagte, er könne ruhig wieder einschlafen, bis Schönau dauere es noch eine halbe Stunde. Der Mann schloß wieder die Augen. »Ihr könnt's euch aber schon zamm' richten«, sagte das Mädchen Christerl zur Joschi. Seit sie von meiner Schwerhörigkeit erfahren hatte, redete sie mich nicht mehr an. »Wir steigen drei Stationen vorher aus!«
Daß wir, außer Joschis Schultasche, nichts zum »Zamm -
richten« hatten, schien sie ein wenig zu erstaunen.
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»Wir bleiben ja nur bis morgen«, murmelte die Joschi.
»Morgen holt uns ein anderer Onkel ab!«
»Ach so«, sagte das Mädchen Christerl.
»Ach so«, sagte die Frau.
Und sie schauten einander verstohlen mit einem Blick an, der hieß eindeutig: Ein bissl plem-plem die zwei!
Wir verabschiedeten uns von der Frau, und ich bedankte mich bei ihr, daß sie uns die Weiterfahrt vermittelt hatte.
Die Frau sagte huldvoll: »Man hilft ja gern, wenn's geht!«
Dem bereits wieder schnarchenden Mann nickten wir auch zu, dann wanderten wir hinter dem Mädchen Christerl in den vorderen Waggon und halfen ihr, drei Koffer, zwei Taschen und etliche
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