Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
weiteren Kaffee ans geöffnete Fenster und schaute hinaus.
Eine Viertelstunde später bestieg sie das Taxi und nannte die letzte Adresse, an die sie sich noch erinnerte. Das Taxi fuhr sie in die Südstadt in die Nähe des Friedhofes. Sie zahlte, stieg aus und schaute die Straße entlang. Eine Minute später warf sie ihre Tasche auf den Beifahrersitz des Insignia. Sie stieg noch einmal aus und fischte ein Ticket unter dem Scheibenwischer hervor. Das Knöllchen landete neben der Tasche. Der Motor brüllte auf, Meinhold gab Gas und steuerte den Turbo Richtung Präsidium.
Hell saß in seinem Büro und hörte sich gerade den Bericht von Wendt an. Der hatte mit dem Vorgesetzten von Hesse telefoniert. Es hatte Telefonat um Telefonat gebraucht, bis er an der richtigen Stelle gelandet war. Erst auf massiven Druck und Drohung mit der Staatsanwaltschaft hatte er schließlich die Nummer von Hesses Vorgesetztem erhalten.
„Er hat sich massiv gegen die Verwendung von Tieren, vor allem Schweine, als Trainingsobjekte für den Nahkampf gewehrt. Die Tiere waren zwar bereits tot, aber es wurden Kampfszenen nachgestellt. Die Haut und der Widerstand, den ein Schweinekörper einem Messer entgegensetzte, war ähnlich einem Menschen.“
„Und was dann?“, fragte Hell.
„Er wurde verwarnt, dann …“ Wendt unterbrach den Satz, da Christina Meinhold die Türe aufriss. Die Männer starrten sie überrascht an.
„Sorry Chef, ich hatte mein Handy auf stumm geschaltet, kommt nicht wieder vor.“ Sie warf ihre Tasche auf den Stuhl neben Wendt und stellte sich ans Fenster. „Und?“
Hell hasste es. Doch es musste jetzt sein. Er gab Wendt einen Fingerzeig draußen zu warten. Der stand umständlich auf und zog die Augenbrauen hoch, sodass Hell es nicht sehen konnte. Meinhold verstand den Wink, verzog aber keine Miene. Wendt schloss die Türe hinter sich und wartete draußen.
„Wir hatten gestern einen Einsatz am Flughafen. Hesse hat uns an der Nase herumgeführt. Mal wieder. Was hat Sie gehindert, uns zu begleiten?“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Meinhold stand weiter mit dem Rücken zum Fenster, blickte unter sich und wippte mit dem Fuß. „Ich hatte Migräne.“
Sie blickte Hell jetzt in die Augen. „Migräne?“, fragte der. „Ja.“
„So plötzlich?“
„Ja, es kam wie angeflogen. Nachdem wir von Hesse wegfuhren, fing es an. Daheim war es so unerträglich, dass ich das Handy lautlos stellte.“
Die Lüge kam ihr einfach über die Lippen. Sie wunderte sich selber. Keiner sollte wissen, wie es ihr ging. Auch nicht Hell oder besser gerade der nicht. Sie war so aufgekratzt gewesen, nachdem sie das Bild der heilen Familie auf dem Familienfoto gesehen hatte. Von ihr und ihren Eltern gab es keine solchen Fotos. Es gab nur Fotos von ihr und ihrer Mutter und von Ihrem Bruder und ihrem Vater. Fotografenfotos. Sie spielten Theater. Familie. Eine Komödie.
„Ach so. Gut! Frau Meinhold, wir sind ein Team, ich bin der Teamleiter und sie sind ein Mitglied des Teams. Wenn jemand nicht einsatzfähig ist, dann erwarte ich, dass man mir das mitteilt.“
„Wir hatten doch Feierabend, Chef.“
Hell beugte sich vor. „Feierabend? Hesse hatte keinen Feierabend, also wir auch nicht. Wenn sie das nächste Mal unpässlich sind, erwarte ich einen Anruf von ihnen. Haben Sie mich verstanden?“
Meinhold nickte. Der barsche Ton ihres Vorgesetzten überraschte sie. Sie kramte einen Spiegel aus der Tasche und klappte ihn auf. „Hab was im Auge“, sagte sie. Eine Lüge.
„Holen Sie Wendt bitte wieder rein.“
Der kam linkisch wieder ins Zimmer, verlegen, weil er nicht wusste, wie er sich nun verhalten sollte.
„Ich habe Kollegin Meinhold nur noch einmal über ihre Pflichten als Teammitglied informiert. Würden Sie bitte weiter machen?“
Aus dem, was Wendt nun berichtete, konnte Meinhold entnehmen, dass Hesse mehrere Abmahnungen erhalten hatte und dass man ihn schließlich wegen Insubordination entlassen hatte. Man warf ihm sogar vor, seine Schützlinge gegen das Militär aufzuhetzen. Wieso man ihn nicht vor ein Militärgericht stellte, blieb ein Geheimnis der Bundeswehr.
„Wir haben wieder die Tiere. Er tötet sehr wahrscheinlich wegen der Tiere die Sodomisten. Er verliert seinen Job als Ausbilder. Was ist da passiert? Wie kommt einer, der bei der Bundeswehr Menschen zum Töten ausbildet, plötzlich dazu, Mitleid mit toten Schweinen zu haben?“
„Gute Frage, Meinhold. Wir machen heute Nachmittag ein Meeting. Da wird
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