Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Ordnung, ich denke, noch eine halbe Stunde zu brauchen. Wär das in Ordnung?“
„ Sicher, vielen Dank.“
Vandenberg war ahnungslos. Hell fand, seine List war ihm gut gelungen.
„ Den hast Du aber richtig hinters Licht geführt“, sagte Franziska mit einem Augenzwinkern.
„ Wieso? Ich habe nur nicht verraten, was ihm bevorsteht. Alles andere wäre unprofessionell gewesen.“
*
Ganz unten in einer Kiste lag ein kleiner, unscheinbarer Gegenstand. Gerhard Franzen, der sich diese Asservatenkiste aus dem Haufen an Kisten herausgesucht hatte, die aus dem Haus von Rosalie Lindemann stammen, hatte alles auf dem beleuchteten Tisch vor sich ausgebreitet.
Lose Fotos, Alben, in denen Fotos klebten, die schon im Laufe der Jahre einen Gelbstich bekommen hatten, Einladungskarten zu Geburtstagen, die längst vergessen waren, Postkarten mit südlichen Motiven.
Eine kam sogar aus der Karibik. Er entzifferte den Poststempel. Die Karte war aus dem Jahr 1991. Damals war die Karibik noch ein sehr exklusives Ziel. Dort gab es noch keinen Massentourismus. Sein Blick folgte den geschwungenen Buchstaben.
Alles Liebe aus der Karibik sendet dir deine ehemalige Kollegin Sandrine. Viel Erfolg in Deinem neuen Leben. S.
Er betrachtete ein klein wenig wehmütig die Palme auf dem Foto, die auf einem weißen Sandstrand vor einem türkisblauen Meer stand.
Kitschig. Aber durchaus reizvoll. Er legte die Karibik auf den Stapel mit den anderen Postkarten.
Als Letztes nahm er eine stabile Karte in die Hand, die wie ein Ausweis wirkte. Oben prangte ein Ausweisbild. Eine blonde, aufgetakelte Frau war zu sehen. Franzen kannte diese Art Ausweise. Vor Erstaunen blieb ihm beinahe der Mund offen stehen. Er fühlte, wie sein Puls beschleunigte.
„ Sie war eine Nutte“, murmelte er leise vor sich hin. So leise, dass seine Kollegin nebenan es nicht verstand.
„ Was nuschelst Du da?“
„ Sie war eine Nutte. Rosalie Lindemann heißt eigentlich Roslana Wlodarczik und war in Köln als Prostituierte gemeldet. Er hielt ihr den Ausweis hin, so dass sie es lesen konnte. Ungläubig schaute sie auf das Dokument.
„ Quark. Das ist ja der Hammer“, sagte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte.
„ Vor allem stellt sich die Frage, warum sie das Teil aufgehoben har? Sonst deutet bis jetzt nichts auf ihre Vergangenheit hin.“
„ Sentimentalität?“
„ Was auch immer. Das wirft ein neues Licht auf den Fall“, sagte er.
„ Wir müssen den Ermittlern Bescheid geben.“
„ Ja, Du hast Recht. Wieso haben wir diese Kiste nicht schon früher untersucht?“
„ Lamentieren ist jetzt keine Option!“, sagte seine Kollegin.
„ Ja.“
Oliver Hell wartete auf einen Anruf von Lea Rosin. Mit der Nachricht, wer in der Nacht der Leiter der Schnitzeljagd gewesen war.
Als sein Handy klingelte, nahm er das Gespräch erwartungsvoll an.
„ Ja Lea, wer war es?“, fragte er.
Stille auf der anderen Seite. „Nein, hier ist nicht Lea, hier spricht Franzen von der KTU. Wir untersuchen gerade die Asservatenkisten aus dem Hause Lindemann. Und wir haben etwas gefunden …“
„ Was denn, reden Sie schon“, unterbrach ihn Hell barsch.
„ Wir haben einen Bockschein aus Köln gefunden. Der ist auf eine Frau mit dem Namen Roslana Wlodarczik ausgestellt. Auf dem Foto ist unzweifelhaft Rosalie Lindemann zu erkennen.“
Hell stockte der Atem. „Sie sind sicher?“
„ Ja, bin ich“, sagte Franzen mit fester Stimme.
„ Danke Ihnen. Gut gemacht. Gibt es weitere Hinweise?“
„ Bis jetzt nicht, wir suchen weiter.“
Durch die Fenster schien die Sonne in das Büro. Hell schaute sich das Muster an, was dadurch auf den Boden gezaubert wurde. Er hob seinen Blick und schaute zu Franziska herüber.
„ Rosalie Lindemann ist nicht Rosalie Lindemann. Sie heißt eigentlich Roslana Wlodarczik und sie war eine Prostituierte“, sagte er zu ihr. Franziska, die das Gespräch neugierig verfolgt hatte, hatte bereits an seinem Gesichtsausdruck bemerkt, dass es eine wichtige Neuigkeit geben musste.
Hell trat an den Tisch heran und seine Finger spielten mit der Visitenkarte.
„ Das wirft ein völlig anderes Licht auf diese Entführungen. Wer entführt eine Ehemalige und zwei Männer?“, fragte sie.
„ Genau das müssen wir herausfinden. Ich muss die Kollegen von der Sitte in Köln kontaktieren. Vielleicht erinnert sich noch jemand an diese Dame.“
Er ging zur Bürotüre, die noch offen stand. Dort drehte er sich noch einmal um. Hell musste
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