Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
Straße warfen ihren Schatten noch seitlich. Wendt blinzelte sogar hinter der Sonnenbrille. Achtete darauf, nicht direkt nach oben zu schauen. Normaler weise machte er sich über die gemütliche Beschaulichkeit solcher Siedlungen lustig. Diese Gutbürgerlichkeit gefiel ihm nicht. Er verachtete sie nicht, doch war er ein Stadtmensch. Durch und durch. Wie er da so stand und sich eines der Häuser ansah, bemerkte er, wie sich von rechts jemand näherte. Er drehte sich herum und sah die Joggerin auf sich zukommen, die er schon seit Tagen morgens beim Laufen gesehen hatte.
Ihm war so, als würde sie schon aus der Entfernung lächeln. Wendt blieb so lange stehen, bis sie ihn erreicht hatte.
„ Guten Morgen“, sagte er.
„ Guten Morgen“, antwortete sie und nahm sich die Kopfhörer aus den Ohren, was er als höflich empfand.
„ Wie jeden Morgen.“
„ Wie jeden Morgen“, antwortete sie lächelnd.
Wendt machte ein geknicktes Gesicht, weil er in die Sonne geschaut hatte, um mit ihr sprechen zu können. Sie bemerkte seinen gequälten Gesichtsausdruck.
„ Ohjeh, da hat aber einer eine heftige Nacht hinter sich. Ich empfehle Ihnen dringend ein Bett.“
Wendt hatte schon eine Antwort parat, schluckte sie aber dann herunter.
„ Da haben Sie mehr als Recht. Lange Geschichte und eine unschöne Geschichte obendrein“, sagte er.
Trotz Sonnenbrille konnte er sehen, dass die junge Frau wirklich attraktiv war. Wie hatte sein Kumpel Ferré gesagt: Frauen, die beim Sport schon toll aussehen, sind geschminkt noch viel hübscher. Es dauerte eine Weile, bis seine Antwort bei ihr anzukommen schien. Oder sie überlegte, was wohl der Grund für seinen Zustand sein konnte.
„ Gehen wir ein Stück? Ich kühle sonst zu sehr aus, wenn ich mich gar nicht bewege.“
„ Gerne, solange ich nicht in die Sonne schauen muss.“
Sie musste lachen. „Sind Sie mir nicht böse, aber ich habe mir einen Detektiv immer anders vorgestellt. Cooler. Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch.“
Wendt lachte ebenfalls, bereute es aber direkt, weil der Schmerz wieder einen neuen Angriffspunkt fand.
„ Wie gut, dass ich kein Detektiv bin“, antwortete er nur.
*
Als Jochheim die Stufen der Kellertreppe hinaufstieg, tropfte das Blut auf die Stufen. In seinem Hosenbund steckte seine Waffe. Er öffnete die Haustüre, rief scheinbar etwas ins Haus hinein und torkelte über die Platten zur Straße, überquerte sie, und schleppte sich dann den Weg hinüber zum Haus, in dem die Bullen wohnten.
Mehrmals drückte er auf die Klingel und hielt sich mühevoll an der Haustüre fest. Als er durch das Glas unscharf jemanden auf die Türe zukommen sah, rief er um Hilfe. Holz kam die Treppe hinuntergeflogen, weil er Jochheim vom Fenster aus schon gesehen hatte. Der Mann war vermutlich verletzt, sein helles T-Shirt war blutrot.
Als Holz die Türe öffnete, erschauderte er. Nicht nur das T-Shirt war blutbesudelt, auch Jochheims Gesicht. Er lallte etwas.
„ Was? Was ist mit Ihnen passiert?“, fragte der BKA-Mann verdutzt.
„ Überfall“, stieß Jochheim scheinbar mit letzter Kraft hervor. Er krümmte sich. Holz blickte ihn an und befürchtete, der Mann könnte ohnmächtig werden. Er hielt ihm die rechte Hand hin, damit er nicht stürzte. Jochheim griff auch direkt danach.
Genau in diesem Moment und genau diese eine Sekunde zu spät, erkannte Holz die Falle, in die er getappt war. Mit voller Kraft zog Jochheim Holz zu sich hin und schlug seinen Kopf mit der anderen Hand mehrmals schnell gegen die Haustüre. Holz sank zu Boden.
„ Arne, was ist denn da unten los?“, fragte Berendi aus der oberen Etage. Noch mit einem T-Shirt und einer Jogginghose bekleidet, tauchte er am Treppenabsatz auf.
„ Arne kann Ihnen gerade nicht antworten“, sagte Jochheim und zielte mit der Waffe auf den Kopf des Kollegen, der vor ihm auf dem Boden lag, „Ganz langsam runterkommen, keine Tricks, sonst …“
Er spannte den Hahn der Pistole. Wie erstarrt hörte Berendi das metallische Klicken.
*
„ Also sind Sie Polizist“, behauptete die Joggerin gerade. Sie zupfte sich ihren Zopf zurecht. Dabei schaute sie so, als hätte sie ein lange gehütetes Geheimnis gelüftet.
Wendts Lippen umspielte ein Lächeln. Nur ein kleines, damit durch das Anspannen der Gesichtsmuskulatur nicht die Kopfschmerzen die nächste Runde einleiteten. Hinter der Sonnenbrille bemerkte er, wie sich das Bild der Frau eintrübte. Er kniff die Augen zusammen.
„ Bingo. Wenn ich wieder fit
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