Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
alle wieder, sie standen um einen Wasserhahn herum. Die Hafenmitarbeiter, von den Männlein »Handlanger« genannt, ließen gerade Boote zu Wasser. Der Schielende Nelie kam zu mir und erklärte, dass sie das früher als sonst täten, weil dieses Jahr ein früher Frühling vorhergesagt worden sei und die Leute deshalb auch früh segeln gehen wollten. Also würden die Boote, die an Land gelegen hätten, jetzt schon zu Wasser gelassen.
»Sie rein, wir raus«, sagte mein Vater. Er schob sich an mir vorbei ins Büro des Hafenmeisters, ich hinter ihm her. Ich hatte schon verstanden. Wir würden noch lange nicht zu unserer Erkundungstour aufbrechen, zuerst käme endloses Palaver.
Und tatsächlich: Obwohl wir gegen ein Uhr angekommen waren, standen wir Stunden später immer noch im Hafen herum. Mein Vater trank eine Tasse Kaffee nach der anderen mit dem Hafenmeister, und ich half den Handlangern ein bisschen. Ein paarmal legte ich zusammen mit ihnen Bänder um den Bootsrumpf, woraufhin ein Kran die Gurte straff spannte und das Boot in die Luft hievte. Ich half auch, wenn das Boot beim Hochheben ein bisschen kippelte: Dann stemmte ich mich gegen seinen Rumpf. Ob das viel brachte, weiß ich nicht. Sie gefielen mir, die Bootsrümpfe, die mal rund und mal schmal waren. Im Wasser konnte man sie dann nicht mehr sehen.
Am späten Nachmittag wurde unser Boot an Land gehievt und auf einen Trailer geladen. Die Handlanger spritzten möglichst viel von der grünen Schmiere ab und ließen den Mast herunter, der noch ein ganzes Stück übers Boot hinausragte. Dann stiegen wir in einen Jeep, den der Hafenmeister meinem Vater geliehen hatte.
Ich fand es ziemlich spannend, im Jeep mit einem Segelboot im Schlepptau durch eine unbekannte Stadt zu fahren. An die Spitze des Masts hatten wir ein rotes T-Shirt gehängt.
Mein Vater fuhr im Schneckentempo, die Nase fast auf dem Lenker. Am Innenspiegel baumelte ein kleines Plastiksegelboot, das bei jedem Huckel auf und ab wippte. Ich wollte es festhalten, merkte aber noch rechtzeitig, dass es so ein Frischduftding war. Und dass es wahrscheinlich schon eine ganze Weile dort hing, denn frisch roch es im Auto nicht mehr.
»Konzentration, Olli.« Mein Vater hatte mir einen Zettel mit der Wegbeschreibung in die Hand gedrückt. Zum Glück war der Friseursalon nicht schwer zu finden: Erst eine Weile geradeaus, danach ein bisschen kreuz und quer durch die Stadt und zum Schluss ein paarmal fragen.
»Hier.« Wir waren angekommen.
Ich sprang aus dem Jeep und holte tief Luft.
Der Friseursalon lag an einer Straßenecke, und daneben waren tatsächlich der hohe Bretterzaun und das Gartentor zu sehen. An dem Tor hing ein Vorhängeschloss, es dauerte eine ganze Weile, bis mein Vater es aufbekommen hatte. Anschließend mussten wir uns noch mit aller Kraft gegen das Tor stemmen, bis es weit genug geöffnet war. Auf der Straße begannen Autos zu hupen. »Boote haben Vorfahrt«, murmelte mein Vater.
Das Gelände hinter dem Zaun war voller Sand und Gerümpel. Mein Vater schwitzte, ich auch. Manche Autofahrer waren inzwischen ausgestiegen und sahen uns zu.
In Wirklichkeit sah unser neues Domizil ganz anders aus als auf den Fotos. Und nicht nur das, es fühlte sich auch anders an. Ein Stein, den ich aufhob, zerkratzte mir die Hand, und der Geruch der hundert Hunde, die an den Zaun gepinkelt hatten, stach mir in die Nase. Wahrscheinlich hatte vor langer Zeit einmal ein Haus hier gestanden. Danach hatte das Grundstück wohl als Müllhalde für die ganze Nachbarschaft gedient, denn es lagen mindestens zwanzig teils aufgerissene Müllsäcke herum. Daneben sah ich fast nur Sand und Erde und hier und da einen kleinen Busch.
»Hurra, ein Garten!«, jubelte mein Vater. Das war sein erster Witz, seit wir in der Stadt angekommen waren, und ich lachte, so laut ich konnte. Natürlich hatte ich bemerkt, dass nicht nur sein Gesicht gerötet war, sondern auch seine Augen.
Das erste Stück des Geländes war eben, dort stellten wir den Trailer ab. Danach sollte das Boot vom Anhänger herunter, aber das ging nicht. Und selbst wenn es gegangen wäre, hätten wir es abstützen müssen, weil Segelboote einen Kiel haben und keinen flachen Boden. Sie bleiben nicht von selbst stehen. Wir überlegten uns, ein Loch in die Erde zu graben, doch das Boot würde trotzdem kippeln, und außerdem sah der Boden hart und steinig aus.
Schließlich beschloss mein Vater, das Boot auf dem Anhänger zu lassen. »Dann kommen wir auch leichter wieder
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