Olympos
ausladenden Mauern, die ganze Nacht hindurch von riesigen bronzenen Kohlebecken erhellt, in denen Öl- oder Holzfeuer brennen, und die letzten dieser Kohlebecken werden jetzt von Wachposten angezündet. Hocke n berry sieht dunkle Gestalten, die sich um diese Feuer drängen, um sich zu wärmen.
Um alle bis auf eines. Paris ’ Scheiterhaufen auf dem großen Platz von Ilium überstrahlt alle anderen Feuer in der Stadt und rings herum, doch nur eine dunkle Gestalt steht ganz nah bei ihm, als suchte sie Wärme – Hektor, der laut klagt und weint und se i nen Soldaten, Dienern und Sklaven befiehlt, mehr Holz in die heulenden Flammen zu werfen, während er mit einem großen Kantharos immer wieder Wein aus einer goldenen Sch a le schöpft und auf den Boden beim Scheiterhaufen gießt, bis die Erde dort so durchtränkt ist, dass es den Anschein hat, als würde sie Blut au s schwitzen.
Hockenberry ist fast mit seinem Abendbrot fertig, als er die Schritte auf der Wendeltreppe hört.
Auf einmal schlägt ihm das Herz bis zum Hals, und er schmeckt die Furcht im Mund. Jemand ist ihm hier herauf g e folgt – daran besteht kaum ein Zweifel. Die Schritte auf den Stufen sind zu leicht, als wollte sich die Person, die die Treppe heraufsteigt, an ihn anschleichen.
Vielleicht eine Frau auf der Suche nach irgendetwas Brauchbarem, denkt Hockenberry, aber noch während die Hoffnung au f keimt, wird sie auch schon zerstört; er hört ein leises metall i sches Echo im Treppenschacht, wie vom Klirren einer bronz e nen Rüstung. Außerdem weiß er, dass die Trojanerinnen tödl i cher sein können als die meisten Männer, die er in seiner Welt des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts gekannt hat.
Hockenberry steht so leise wie möglich auf, legt Wei n schlauch, Brot und Käse weg, steckt das Messer in die Scheide, zieht lautlos sein Schwert und tritt an die einzige noch stehende Mauer zurück. Der Wind wird stärker und lässt seinen roten Umhang rascheln, als er das Schwert in dessen Falten verbirgt.
Mein QT-Medaillon. Er legt die linke Hand an das kleine Qua n tenteleportationsgerät, das unter dem Chiton auf seiner Brust hängt. Wieso habe ich gedacht, ich hätte nichts Wertvolles bei mir? Selbst wenn ich dieses Ding nicht mehr benutzen kann, ohne von den Göttern entdeckt und verfolgt zu werden, ist es einzigartig. Von u n schätzbarem Wert. Hockenberry packt die Taschenlampe und hält sie mit ausgestrecktem Arm, so wie er immer mit seinem Tase r stab gezielt hat, als er noch einen besaß. Er wünscht, er hätte jetzt einen.
Ihm kommt der Gedanke, dass es ein Gott sein könnte, der d i rekt unter ihm die letzte der elf Treppen heraufkommt. Die He r ren des Olymp waren dafür bekannt, dass sie sich, als Ster b liche verkleidet, in Ilium einschlichen. Die Götter hatten jedenfalls Grund genug, ihn zu töten und sich ihr QT-Medaillon zurückz u holen.
Die Gestalt kommt die letzten paar Stufen herauf und tritt ins Freie. Hockenberry schaltet die Taschenlampe ein, und der Ne u ankömmling wird voll vom Lichtkegel erfasst.
Es ist eine kleine und nur andeutungsweise humanoide G e stalt – die Knie zeigen nach hinten, die Arme sind falsch gegli e dert, die Hände austauschbar, und sie hat kein Gesicht im eigentlichen Sinne –, knapp einen Meter groß, in dunklen Kuns t stoff und grau-schwarz-rotes Metall gehüllt.
»Mahnmut«, sagt Hockenberry erleichtert und senkt die T a schenlampe, um dem kleinen europaschen Moravec nicht in die Sichtscheibe zu leuchten.
»Hast du da ein Schwert unter dem Umhang«, fragt Mahnmut auf Englisch, »oder freust du dich bloß, mich zu sehen?«
Hockenberry hat sich angewöhnt, in seinem Rucksack etwas Brennstoff für ein kleines Feuer mit heraufzubringen. In den let z ten Monaten waren es häufig getrocknete Kuhfladen, aber heute hat er eine Menge wohlriechendes Anmachholz dabei, das von den Holzfällern, die das Holz für Paris ’ Scheiterhaufen besorgt haben, überall auf dem Schwarzmarkt verkauft worden ist. Nun füttert Hockenberry das kleine Feuer, zu dessen beiden Seiten er und Mahnmut sich auf Steinblöcken gegenübersitzen. Der Wind ist kalt, und zumindest Hockenberry ist froh über das Feuer.
»Ich habe dich seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen«, sagt er zu dem kleinen Moravec. Ihm fällt auf, wie Mahnmuts glä n zende Kunststoff-Sichtscheibe die Flammen reflektiert.
»Ich war oben auf Phobos.«
Es dauert ein paar Sekunden, bis Hockenberry wieder einfällt, dass Phobos einer
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