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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Marsmonde ist. Der nähere, denkt er. Oder vielleicht der kleinere. Jedenfalls ein Mond. Er dreht den Kopf und schaut zu dem riesigen Loch ein paar Kilometer nordöstlich von Troja hinüber: Auf dem Mars ist es jetzt ebe n falls Nacht – die Scheibe des Lochs verschmilzt fast schon mit dem Nachthimmel und ist nur noch deshalb zu erkennen, weil die Sterne dort ein wenig anders aussehen – sie leuchten heller oder stehen enger beisammen, vielleicht auch beides. Keiner der beiden Marsmonde ist zu sehen.
    »Irgendwas Interessantes heute passiert, während ich weg war?«, fragt Mahnmut.
    Das bringt Hockenberry zum Schmunzeln. Er erzählt dem M o ravec von dem Bestattungsritual und Oinones Selbstopfer.
    »Ach, du dicke Scheiße«, sagt Mahnmut. Der ehemalige Schol i ker kann nur vermuten, dass der Moravec bewusst idiomat i sche Redewendungen benutzt, die seiner Ansicht nach typisch für H o ckenberrys Zeit und Welt sind. Manchmal klappt es; manchmal – so wie jetzt – ist es einfach lächerlich.
    »Ich kann mich gar nicht entsinnen, dass Paris in der Ilias eine ehemalige Gattin hatte«, fährt Mahnmut fort.
    »Ich glaube nicht, dass sie in der Ilias erwähnt wird.« Hocke n berry versucht sich ins Gedächtnis zu rufen, ob er sich in seinen Seminaren jemals mit diesem Thema befasst hat. Wahrschei n lich nicht.
    »Das muss ein ziemlich dramatischer Anblick gewesen sein.«
    »Ja«, sagt Hockenberry, »aber ihre Anschuldigungen, in Wir k lichkeit habe Philoktetes Paris getötet, waren sogar noch dramat i scher.«
    »Philoktetes?« Mahnmut legt den Kopf auf eine Weise schief, die Hockenberry fast an einen Hund erinnert. Mittlerweile ve r bindet er diese Bewegung – warum auch immer – mit der Vo r stellung, dass Mahnmut auf Datenbanken zugreift. »Aus dem Stück von Sophokles?«, fragt Mahnmut nach einer Sekunde.
    »Ja. Er war der ursprüngliche Heerführer der Thessalier aus M e thone.«
    »Ich erinnere mich nicht, dass er in der Ilias vorkommt«, sagt Mahnmut. »Und ich glaube auch nicht, dass ich ihm hier b e gegnet bin.«
    Hockenberry schüttelt den Kopf. »Agamemnon und Ody s seus haben ihn vor Jahren auf der Insel Lemnos ausgesetzt, als sie hierher unterwegs waren.«
    »Warum das denn?« Mahnmuts Stimme mit ihrem so menschl i chen Timbre klingt interessiert.
    »Vor allem, weil er übel gerochen hat.«
    »Übel gerochen? Die meisten dieser menschlichen Helden sti n ken erbärmlich.«
    Hockenberry hält einen Moment lang verdutzt inne. Ihm fällt ein, dass er vor zehn Jahren, kurz nach seiner Wiederauferst e hung auf dem Olympos, bei seinen ersten Einsätzen als Schol i ker genau dasselbe gedacht hat. Aber so ungefähr nach den ersten sechs Monaten war es ihm irgendwie gar nicht mehr aufg e fallen. Ob er wohl stinkt? »Philoktetes roch wegen seiner eiternden Wunde b e sonders übel«, sagt er.
    »Wunde?«
    »Ein Schlangenbiss. Er wurde von einer giftigen Schlange gebi s sen, als er … na ja, ist eine lange Geschichte. Die übliche Diebstahl-von-den-Göttern-Nummer eben. Der Biss hatte schlimme Folgen für Philoktetes ’ Bein – der Eiter lief nur so heraus; es stank una b lässig, und der Bogenschütze bekam in regelmäßigen Abständen Schreikrämpfe und Ohnmachtsanfä l le. Denk daran, das war auf der Fahrt nach Troja, vor zehn Ja h ren. Also hat Agamemnon den alten Mann auf Odysseus ’ Rat hin schließlich einfach auf der Insel Lemnos ausgesetzt und ihn dort buchstäblich verrotten lassen.«
    »Aber er hat überlebt?«
    »Offensichtlich. Wahrscheinlich weil die Götter ihn aus irgen d einem Grund am Leben erhielten. Aber sein fauliges Bein hat ihm die ganze Zeit qualvolle Schmerzen bereitet.«
    Mahnmut legt den Kopf wieder schief. »Na schön … ich eri n nere mich jetzt an das Stück von Sophokles. Odysseus holt Ph i loktetes zurück, als der Seher Helenos den Griechen erklärt, ohne Philo k tetes ’ Bogen würden sie Troja nicht besiegen – den Bogen hatte er von … von wem? … von Herakles bekommen. Herkules.«
    »Ja, er hat den Bogen geerbt.«
    »Ich kann mich aber nicht erinnern, dass Odysseus ihn herg e holt hat. Im wirklichen Leben, meine ich. Während der letzten acht Monate.«
    Hockenberry schüttelt erneut den Kopf. »Es ist in aller Stille g e schehen. Odysseus war nur ungefähr drei Wochen weg, und ni e mand hat es an die große Glocke gehängt. Als er zurückkam, war es wie … hey, seht mal, auf dem Rückweg vom Weinholen habe ich rasch noch Philoktetes an Bord genommen.«
    »In Sophokles

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