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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wird sich die Luft hier von Pfeilsalven verdunkeln. Die Morphausrüstung und die Stoßpanzerung, die ich als Scholiker hatte, besitze ich nicht mehr – ich habe nicht einmal eine der Rüstungen aus M e tall oder Leder angelegt, die ich den achäischen Leichen überall um mich herum abnehmen könnte. Wenn ich bleibe, werde ich den Tag wohl kaum überstehen – die letzten beiden Tage waren für mich eine Abfolge feiger Stunden, in denen ich mich furch t sam weit hinter der Front zusammengekauert habe, in der N ä he des Zeltes, wo die Verwundeten sterben. Und falls ich den Tag doch überl e ben sollte, wären meine Chancen, den Angriff auf die Trojaner nach Einbruch der Dunkelheit zu überleben, praktisch gleich null.
    Und warum sollte ich bleiben? Um meinen Hals hängt ein Quantenteleportationsgerät, Herrgott noch mal. Ich könnte binnen zwei Sekunden in Helenas Gemächern sein und mich fünf Min u ten später bei einem heißen Bad entspannen.
    Warum sollte ich bleiben?
    Aber ich bin nicht bereit, von hier zu verschwinden. Noch nicht. Ich bin kein Scholiker mehr, und als Philologe bin ich hier vie l leicht fehl am Platz, aber selbst als Kriegsberichterstatter, der nie imstande sein wird, von seinen Erlebnissen zu beric h ten, finde ich diesen letzten ruhmreichen Tag einer untergegangenen ruhmre i chen Epoche so interessant, dass ich ihn nicht versäumen möchte.
    Ich werde noch eine Weile bleiben.
    Überall ertönen die Trompeten. Noch hat niemand Zeit für das versprochene umfangreiche Frühstück gefunden, aber die Troj a ner greifen entlang der gesamten Front an.
     

64
    Es ist eine Sache, zu wissen, dass alles im Universum – alles in der Geschichte, in der Wissenschaft, in Dichtung, Kunst und Musik, jeder Mensch und jeder Ort, jedes Ding und jede Idee – miteina n der verbunden ist. Diese Verbundenheit jedoch – wenn auch nur unvollständig – am eigenen Leibe zu erleben, ist etwas ganz and e res.
    Harman war fast neun Tage bewusstlos. Zwischendurch kam er manchmal kurz zu sich, schrie vor Kopfschmerzen, die seinen Schädel und sein Gehirn zu sprengen drohten, übergab sich meh r fach und fiel dann wieder ins Koma.
    Am neunten Tag erwachte er. Die Kopfschmerzen rollten über ihn hinweg, die schlimmsten Kopfschmerzen, die er jemals g e habt hatte, aber sie brachten ihn nicht mehr zum Schreien wie während seines neuntägigen Albtraums. Die Übelkeit war fort, sein Magen war leer. Später würde er feststellen, dass er rund zwölf Kilo a b genommen hatte. Er lag nackt in dem Bett im Obergeschoss der Eiffelbahn -Gondel.
    Die Gondel ist größtenteils im Jugendstil gebaut und eingerichtet, dachte er, als er taumelnd aufstand und einen seidenen Morge n mantel anzog, der über der Armlehne des dick gepolsterten E m pire-Sessels neben dem Bett hing. Er fragte sich müßig, wo in aller Welt jemand Raupen zur Seidenproduktion züchtete – hatte das zu den Aufgaben der Servitoren während dieser langen Jahrhu n derte menschlichen Müßiggangs gezählt? Wurden sie irgendwo künstlich in einem großen Bottich hergestellt, so wie die Nac h menschen seine Gattung aus nanotechnisch verändertem Genm a terial erschaffen – oder vielmehr wieder erschaffen – hatten? Harmans Kopf tat zu weh, als dass er jetzt über diese Fragen nachdenken konnte.
    Auf dem Zwischengeschoss legte er eine Pause ein, schloss die Augen und konzentrierte sich. Nichts. Er blieb in der Go n del. Er versuchte es erneut. Nichts.
    Ihm war schwindlig. Ein wenig taumelnd stieg er die schmied e eiserne Treppe ins Erdgeschoss hinunter und sackte auf den ei n zigen Stuhl an dem Tisch beim Fenster. Der Tisch war mit einem weißen Leintuch gedeckt.
    Harman schwieg, während Moira ein Kristallglas mit Orange n saft, schwarzen Kaffee in einem weißen Thermidor und ein p o chiertes Ei mit etwas Lachs brachte. Sie schenkte ihm Kaffee ein. Harman senkte den Kopf ein wenig und ließ sich die Wä r me des Kaffees ins Gesicht steigen.
    »Na, bist du öfter hier?«, fragte Moira.
    Prospero kam herein und blieb im strahlenden, grässlichen Morgenlicht stehen, das durch die Glasfenster hereinströmte. »Ah, Harman … ein neuer Mensch, im wahrsten Sinne des Wo r tes! Es freut mich zu sehen, dass du wach und wieder auf den Beinen bist.«
    »Halt den Mund.« Harman ignorierte das Essen und nippte vo r sichtig am Kaffee. Er wusste jetzt, dass Prospero ein Hol o gramm war, aber ein physisches – ein Logosphären-Avatar, der sich jede Mikrosekunde neu mit Materie

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