Olympos
nützlich.«
Die Finger seiner linken Hand spielten mit der Pfeife, und er steckte den Zeigefinger der rechten Hand in den Abzugsbügel des Flechette-Gewehrs und sah sie an. Ihr klares Bild ve r schwamm ein wenig, wurde transparent und dann wieder scharf. In dem, was sie soeben gesagt hatte, steckte so viel, dass er momentan nicht einmal die richtigen Fragen formulieren konnte. Intuitiv hielt er es für das Beste, sie in seiner Nähe zu behalten, aber er konnte nicht einmal sich selbst erklären, we s halb ihm das sinnvoll erschien. »Weshalb möchtest du bei der Diskussion dabei sein?«, fragte er.
»Mich interessiert das Ergebnis.«
»Warum?«
Sie lächelte. »Daeman, wenn ich für die anderen vierundfün f zig Personen dort unsichtbar sein kann – selbst für Noman –, hätte ich bestimmt auch für dich unsichtbar bleiben können. Aber du sollst wissen, dass ich dort bin. Nach der Diskussion und der Abstimmung werden wir über alles reden.«
»Worüber genau?« In der dünnen, abgestandenen Luft von Prosperos sterbendem Reich hatte Daeman die toten, braunen, mumifizierten Leichen gesehen, die Savi, Harman und er für die letzten Nachmenschen gehalten hatten. Allesamt weiblich. Die meisten von Caliban vor Jahrhunderten angefressen. D a eman hatte keine Ahnung, ob diese Erscheinung das war, was sie zu sein behauptete. Für ihn ähnelte sie eher den Göttinnen aus dem Turin-Drama, das er sich nur gelegentlich angesehen hatte – Athene vielleicht oder einer viel jüngeren Hera. Sie war nicht so schön wie Aphrodite, nach den wenigen Bildern zu urteilen, die er von ihr gesehen hatte. Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass man vor fast einem Jahr in Paris-Krater gemunkelt hatte, den Göttern aus dem Turin-Drama vom trojanischen Krieg würden Straßenaltäre errichtet.
Doch nun waren alle in Paris-Krater tot, auch seine Mutter. Von Caliban getötet und gefressen. Und Setebos hatte die Stadt in diesem Blaueis-Dreck begraben. Falls die Menschen seiner Heimatstadt jemals zu den Göttern und Göttinnen der Turiner gebetet hatten, so hatte es ihnen nichts genützt. Wenn dies eine Göttin aus dem Drama war, würde sie für ihn gewiss auch nichts Gutes bedeuten.
»Wir können zum Beispiel darüber sprechen, wo euer Freund Harman ist«, sagte die spektrale Gestalt, die sich Moira nannte.
»Wo ist er? Wie geht es ihm?« Daeman merkte, dass er die Stimme gehoben hatte.
Sie lächelte. »Wir können nach der Abstimmung darüber r e den.«
»Sag mir wenigstens, weshalb diese Abstimmung so wichtig ist, dass du von … woher auch immer gekommen bist, um dabei zu sein«, verlangte Daeman. Seine Stimme klang so hart, wie er selbst es im vergangenen Jahr geworden war.
Moira nickte. »Ich bin gekommen, weil sie wichtig ist.«
»Warum? Für wen? Inwiefern?«
Sie schwieg. Ihr Lächeln war verflogen.
Daeman ließ die Pfeife los. »Ist es wichtig, dass wir Noman das Sonie geben, oder dass wir es ihm nicht geben?«
»Ich möchte nur zusehen«, sagte das Savi-Gespenst, das sich Moira nannte. »Nicht an der Abstimmung teilnehmen.«
»Danach habe ich nicht gefragt.«
»Ich weiß«, sagte das Wesen mit Savis Stimme.
Die Glocke für das Konklave ertönte. Menschen versamme l ten sich im zentralen Bereich zwischen Schuppen, Zelten und Feuern.
Daeman hatte es nicht eilig. Ihm war klar, dass es ungefährl i cher sein konnte, einen le benden Voynix in ihr Lager zu fü hren. Er wusste auch, dass er nur sehr wenig Zeit hatte, um seine Entscheidung zu treffen. »Wenn du an der Versammlung tei l nehmen kannst, ohne von jemandem gesehen zu werden, we s halb hast du dich mir dann gezeigt?«, fragte er mit leiser Sti m me.
»Das habe ich dir doch gesagt«, erwiderte die junge Frau. »Ich wollte es so. Oder vielleicht bin ich wie ein Vampir – ich kann einen Ort beim ersten Mal nur betreten, wenn ich eingeladen werde.«
Daeman wusste nicht, was ein Vampir war, aber er hielt das im Moment auch nicht für so wichtig. »Nein«, sagte er. »Ich werde dich nicht in unseren sicheren Bereich einladen, wenn du mir nicht einen triftigen Grund dafür nennst.«
Moira seufzte. »Prospero und Harman haben auch gesagt, du seist stur, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass du so stur bist.«
»Du redest, als hättest du Harman gesehen«, sagte Daeman. »Erzähl mir etwas von ihm – wie es ihm geht, wo er ist –, damit ich dir glauben kann, dass du ihm begegnet bist.«
Moira sah ihn weiterhin an, und Daeman hatte das Gefühl, als ob die Luft um
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