Olympos
Flechette-Magazin leer war, legte sie ein we i teres ein, zielte auf die blutende graue Masse in der Grube und feuerte erneut. Und wieder. Und wieder. Das Gehirn teilte sich entlang seiner Hemisphären, und sie zerschoss jede breiige Hälfte, als würde sie einen Kürbis zerschlagen. Die rosafarb e nen Hände und langen Stängel zuckten krampfhaft, aber die Setebos-Brut war tot.
Ada spürte, wie sie starb. Jeder spürte es. Ihr letzter mentaler Schrei – in keiner Sprache außer Schmerz – verklang zischend in ihrem Geist wie schmutziges Wasser, das in einen Abfluss lief.
Alle außer den Wachposten kamen aus ihren Unterkünften, gruppierten sich um die Grube und starrten hinab. Sie fühlten die Abwesenheit, konnten jedoch noch nicht so recht glauben, dass das Wesen wirklich tot war.
Greogi beugte sich nah zu Ada. »Tja, nun brauche ich wohl doch nicht loszugehen, um Strohhalme zu sammeln«, flüsterte er ihr inmitten des benommenen Schweigens ins Ohr.
Auf einmal erhob sich überall um sie herum ein Geräusch – ein furchteinflößendes Surren, Pfeifen und Summen, zunächst noch fern, dann jedoch immer lauter, ein Surren und Scharren, das durch den Wald hallte und von den umliegenden Hügeln zurückgeworfen wurde.
»Was zum Teufel … «, begann Casman.
»Die Voynixe«, sagte Daeman. Er nahm Ada das Gewehr ab, legte ein neues Flechette-Magazin ein und gab es ihr zurück. »Sie kommen alle auf einmal.«
81
Hier bin ich und sehe und höre, wie ein Gott überschnappt. Ich weiß nicht, welche Hilfe ich mir hier oben auf dem Olymp für meine belagerten und sterbenden Achäer erwartet habe, aber jetzt sitze ich ebenso sicher in der selbst gestellten Falle, wie die Griechen an ihrem Strand mit den auf sie eindringenden Troj a nern in einer Todesfalle sitzen, und ich stehe hier in meinem verschwitzten Chamäleon-Anzug, auf engstem Raum mit ta u send Unsterblichen, und versuche, den Atem anzuhalten, um mich nicht zu verraten, während ich zuhöre, wie Zeus, bereits König der Götter, sich zum einen und einzigen, ewigen, al l mächtigen Gott erklärt.
Eigentlich bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, dass ich bemerkt werden könnte. Die Götter um mich herum glotzen Zeus an, ihre unsterblichen Kinnladen hängen herunter, ihre göttlichen Münder stehen offen, und ihre göttlichen olymp i schen Augen quellen hervor.
Zeus ist übergeschnappt. Und seine dunklen Augen scheinen sich in mich hineinzubohren, während er von seinem neuen Aufstieg zur absoluten Göttlichkeit faselt. Ich bin sicher, dass er mich sehen kann. Aus seinem Blick spricht die selbstzufriedene Geduld einer Katze mit einer Maus zwischen den Pfoten.
Ich lege meine von dem dicken Anzugstoff überzogene Hand an das QT-Medaillon an meiner Brust unter dem klebrigen Chamäleon-Anzug.
Aber wohin soll ich qten? Zurück zum Strand mit den Ach ä ern? Das wäre mein sicherer Tod. Zurück nach Ilium, um Hel e na zu besuchen? Das wäre amüsant, und ich würde am Leben bleiben, aber es wäre ein Verrat an … an wem? Die Griechen haben es nicht einmal bemerkt, wenn ich unter ihnen war, j e denfalls nicht, seit Achilles und Odysseus auf der falschen Seite des sich schließenden Bran-Lochs verschwunden sind. Weshalb sollte ich ihnen gegenüber Loyalität verspüren, wenn sie es nicht tun …
Aber es ist so.
Apropos Odysseus – und wenn ich an ihn denke, sehe ich s o fort nicht jugendfreie Bilder von mir –, ich weiß, dass ich zur Queen Mab zurückqten kann. Das wäre vielleicht der sicherste Ort für mich, obwohl mein Platz eigentlich nicht dort bei den Moravecs ist.
Nichts kommt mir richtig vor. Nichts, was ich tun könnte, e r scheint mir besser als ein feiger Verrat.
Verrat an wem denn, Herrgott noch mal?, frage ich mich, den Namen des Herrn missbrauchend, während der neue Herr und einzige allmächtige Gott der Welt mir in die Augen starrt und seine von Faustschlägen begleitete, speichelsprühende Tirade beendet.
Der Götterfürst Zeus beschließt seine Rede nicht mit »NOCH IRGENDWELCHE FRAGEN?«, aber er hätte es ebenso gut tun können, nach dem lastenden Schweigen zu urteilen, das sich nun auf die große Halle der Götter herabsenkt.
Plötzlich fällt dem nicht totzukriegenden Pedanten in mir, e her dem Möchtegern-Philologen als dem ehemaligen Scholiker, unerklärlicherweise – in Anbetracht des Echtzeit-Terrors der Situation – ein geradezu Miltonscher Satz Luzifers ein: Hoch über den Sternen Gottes will ich aufrichten meinen Sitz
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