Olympos
chen.«
»Komisch, das hat er gar nicht erwähnt«, sagte Mahnmut. »Thomas beteiligt sich freiwillig mindestens ein oder zwei Tage pro Woche an dieser Ausgrabung. Nein, aber was ich sagen wollte: Die Nachmenschen und die olympischen Götter haben ganz bestimmt › Gott gespielt ‹ , als sie Hockenberrys Körper, Persönlichkeit und Erinnerungen aus Knochenstücken, alten Dateien und DNA wiedererschaffen haben. Aber es hat funkt i oniert. Er ist ein netter Mensch.«
»Den Eindruck habe ich auch«, sagte Moira. »Und wie ich h ö re, schreibt er ein Buch.«
»Ja«, sagte Mahnmut. Der Moravec schien den Faden verloren zu haben.
»Also, nochmals viel Glück«, sagte Moira und streckte ihm die Hand hin. »Und richte Hauptintegrator Asteague/Che me i ne besten Grüße aus, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Sag ihm bitte, dass ich den Tee, den wir im Taj getrunken haben, sehr genossen habe.« Sie schüttelte dem kleinen Moravec die Hand und machte sich auf den Weg zum Waldrand im Norden.
»Moira«, rief Mahnmut.
Sie blieb stehen und schaute zurück.
»Hast du gesagt, dass du zu der Theateraufführung heute Abend kommst?«, rief Mahnmut.
»Ja, ich glaube schon.«
»Sehen wir uns dort?«
»Da bin ich nicht sicher«, sagte die junge Frau. »Aber ich sehe dich dort.« Sie ging weiter auf den Wald zu.
94
Mein Name ist Dr. Thomas Hockenberry, Hockenbush für me i ne Freunde. Ich habe keine lebenden Freunde, die mich so ne n nen. Oder vielmehr, die Freunde, die mich vielleicht einmal so genannt haben – Hockenbush, ein Spitzname aus meiner St u dentenzeit am Wabash College –, sind längst zu Staub zerfallen auf dieser Welt, auf der so vieles zu Staub zerfallen ist.
Auf jener ersten guten Erde habe ich über fünfzig Jahre gelebt, und in diesem zweiten Leben bin ich bisher schon mit etwas mehr als achtzehn ausgefüllten Jahren beschenkt worden – in Ilium, auf dem Olympos, der sich, wie ich erst in meinen letzten Tagen dort erfuhr, auf dem Mars befand, und jetzt wieder hier. Daheim. Auf der wunderschönen Erde.
Ich habe viel zu erzählen. Leider habe ich jedoch alle Au f zeichnungen verloren, die ich im Verlauf der letzten zwölf Ja h re als Scholiker wie auch als Philologe angefertigt habe: die für meine Muse bestimmten Stimmsteine mit meinen täglichen B e obachtungen des trojanischen Krieges, meine eigenen hing e kritzelten Notizen, selbst den Moravec-Recorder, mit dessen Hilfe ich die letzten Tage von Zeus und dem Olymp geschildert habe. Ich habe sie alle verloren.
Aber das macht nichts. Ich erinnere mich an alles. An jedes Gesicht. Jeden Mann und jede Frau. Jeden Namen.
Für Kenner gehört es zu den wundervollen Dingen an H o mers Ilias, dass niemand in seinem Epos namenlos stirbt. Sie sind alle mit fliegenden Fahnen gefallen, diese Helden, diese brutalen Helden, und bei ihrem Sturz erbebte die Erde, denn sie gingen nicht nur mit all ihren Waffen und ihrer Rüstung zu B o den, sondern nahmen auch noch ihre Habseligkeiten, ihr Vieh, ihre Frauen und Sklaven mit. Und ihre Namen. Niemand starb namenlos oder ohne Gewicht in Homers Ilias.
Wenn ich meine Geschichte erzählen würde, würde ich es g e nauso machen.
Aber wo soll ich beginnen?
Wenn ich in dieser Geschichte schon freiwillig oder unfreiwi l lig als Chor fungieren soll, dann kann ich beginnen, wo ich will. Und ich will hier beginnen, indem ich Ihnen erzähle, wo ich lebe.
Ich habe meine Monate mit Helena im Neuen Ilium genossen, während diese Stadt sich selbst wieder aufbaute. Die Griechen halfen dabei, nachdem sie mit Hektor vereinbart hatten, dass die Trojaner ihnen im Gegenzug beim Bau ihrer Langschiffe helfen würden, sobald die Stadtmauern wieder standen. Sobald die Stadt wieder lebte.
Sie war nie gestorben. Ilium – Troja – war seine Bevölkerung, müssen Sie wissen … Hektor, Helena, Andromache, Priamos, Kassandra, Deiphobos, Paris … zum Teufel, sogar diese ekelha f te Hypsipyle. Manche von ihnen sind gestorben, aber einige haben überlebt. Die Stadt lebte, so lange sie lebten. Vergil hatte das begriffen.
Also kann ich nicht Ihr Homer sein, ich kann nicht einmal Vergil sein, dessen Geschichte mit Trojas Fall beginnt … es ist nicht genug Zeit verstrichen, als dass daraus schon eine richtige Geschichte hätte werden können, obwohl ich höre, dass sich das vielleicht ändert. Ich werde beobachten und zuhören, s o lange ich lebe.
Aber ich lebe jetzt hier. In Ardis Town.
Nicht in Ardis. Auf der weitläufigen
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