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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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gescheit. Nur weil er noch jung und ungebunden sei, verschwende er seine Zeit mit Nichtstun. Wenn er erst verheiratet sei und eine Familie habe, werde er sich schon ändern.
    Anna war es sehr peinlich, mir all das zu übersetzen, aber Sascha lehnte sich zurück, zupfte an den Saiten seiner Balalaika und lächelte. Ich habe noch nie einen jungen Mann gesehen, der seiner selbst und seines Erfolges so sicher war. Für ihn war es zwecklos, sich auf Diskussionen einzulassen, solange Anna sich kaum traute, ihn anzusehen - aber jeden Abend, wenn sie nach Hause kam, war er da. Ihren Eltern muß dieser Gedanke auch schon gekommen sein, denn mitten in der schönsten Auseinandersetzung wurden sie plötzlich schwankend und sagten, sie sollte wenigstens erst einmal ihre Ausbildung abschließen, und dann könne man ja vielleicht noch einmal über die Sache reden.
    Einige Familien begannen, sich für die Nacht fertig zu machen. Sie zogen Vorhänge vor ihre Abteilungen, in denen die Kinder schon schliefen, und löschten die Lichter, indem sie die Glühbirnen losschraubten, denn es gab nur einen Hauptschalter. Bald waren nur noch wenige wach. Viele von ihnen mußten morgens um sieben zur Arbeit, und so unterhielten sich die übrigen nur noch flüsternd.
    Ich versuchte mehrmals aufzubrechen, aber alle waren so warmherzig und freundlich und neugierig und baten mich immer wieder, noch ein paar Minuten zu bleiben. Als ich dann schließlich doch aufstand, nahmen sie mir das Versprechen ab, bald wiederzukommen und sie zu besuchen. Da fragte ich sie, ob ich für drei Monate bei ihnen in der Kirche wohnen könne. Ich meinte es nur als Scherz, aber sie waren dermaßen gastfreundlich, daß sie gleich überlegten, wo sie eine neue Abteilung bauen könnten. Ich fragte sie wegen meines Englischunterrichts, und sie waren überzeugt, daß sie Schüler für mich finden würden. Annas Eltern waren von dieser Idee ganz begeistert. Ich glaube, sie hofften, Anna werde weniger Zeit für Sascha haben, wenn sie an den Abenden für mich dolmetschen muß.
    Ich sagte ihnen, ich müsse erst einmal die Verlängerung meines Visums klären, und dann würde ich wiederkommen. Alle, die noch wach; waren, kamen mit zur Kirchentür zum Auf-Wiedersehen-Sagen, und Anna bestand darauf, mich zur Bushaltestelle zu begleiten. Sascha wollte auch mitkommen, obgleich Annas Vater laut protestierte. Ihre Mutter ‘ war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Anna im Dunkeln nicht allein zurückgehen zu lassen, und dem, Anna im Dunkeln nicht mit Sascha zurückgehen zu lassen. Zu guter Letzt tat Sascha dann doch, was er wollte. Er zog sich einfach seine Jacke an, nahm mich an einer Hand und Anna an der andern und ging mit uns los.
    Sascha, der, glaube ich, sehr intelligent ist, fing plötzlich an zu reden. In der Kirche hatte er wenig gesagt - nur gesessen und seine Balalaika gespielt. Aber jetzt zeigte er auf die Kirche und erzählte mir, daß er und Anna dort aufgewachsen seien und nie ein anderes Zuhause gekannt hätten. Er sagte, es sei sinnlos, zu schuften und bessere Arbeit zu finden, nur um von einem überfüllten Wohnblock in den nächsten zu ziehen. Wenn er arbeite, wolle er auch etwas herzeigen können - ein eigenes Haus mit einem kleinen Garten und vielleicht ein Auto. Er fragte, ob in England ein Ingenieur das haben könne. Zuerst wollte Anna das alles nicht übersetzen. Sie machte ihm sanfte Vorhaltungen, aber er bestand darauf. Er sagte, eines Tages werde man auch in Rußland dahinter kommen, daß nicht jeder dazu bereit ist, hart zu arbeiten, nur weil die Arbeit als solche etwas Edles sei. Es gebe viele praktisch denkende Leute, die etwas fester umrissene Ziele brauchten.
    Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß er, falls noch mehr Leute so dächten wie er, sich lieber durch Weiterbildung auf die Zukunft vorbereiten solle. Er lachte und sagte: Anna lächelte ihn an, und beide schüttelten mir ernsthaft und ein bißchen verlegen die Hand.
    Sie winkten mir bei der Abfahrt zu, und als ich zurücksah, gingen sie Arm in Arm den Berg hinauf.»
    Miss Baker lehnte sich vor und sah Jackie an, die in ihrer Lieblingsstellung, im Schneidersitz, auf dem Boden saß. Dann warf sie einen Blick zu

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