Oma packt aus
bestanden.«
»Dann sind Tierärzte in Lüneburg besser als in Hamburg.«
Keiner von uns beiden glaubte so recht an das Argument.
»Oder sie wollte mit Rüdiger mal eine Weile raus in die Natur«, mutmaßte Jan. »Gute Heideluft schnuppern und lecker essen.« Nichts überzeugte uns.
»Nele, da gibt’s nur eines.«
»Nämlich?«
Ich kannte Jan und war auf einiges gefasst.
»Du musst spionieren.«
Darauf denn doch nicht.
»Ja, klar.«
»Ich meine es ernst. Finde heraus, was die Frau von uns will. Am Ende hat sie vor, ihre Firma zu vergrößern. Dann baut sie demnächst ein Luxushotel in Nordergellersen, und irgendwo am Eingang zum Wellnessbereich hängt eine kleine Messingtafel.«
»Was?«
»Darauf ist eingraviert: ›Hier stand einst der Lüttjenshof, zweihundert Jahre lang im Besitz einer freien Bauernfamilie‹ – oder so ähnlich.«
Drama, Baby!
»Du spinnst ja.«
Ich kam ins Grübeln. Jan mochte eine blühende Fantasie haben. Aber was, wenn es stimmte? Wenn Irene wirklich unseren Hof wollte? Und hatten Mama, Oma Grete und Großtante Marie womöglich rein instinktiv die Bedrohung für Heim und Herd erkannt? Ich stellte mir Irene als knallharte Geschäftsfrau vor, die über Leichen ging und eine glückliche Familie so mal eben im Vorbeigehen auf die Straße setzte.
Überzeugte mich nicht, die Geschichte. Vor allem nicht der Teil mit der glücklichen Familie.
»Und dann«, fuhr Jan mit tiefer gelegter Stimme fort, »werden die Lüttjens’ in alle Winde verstreut. Mama landet vielleicht endlich in Indien und findet in einem Ashram zu sich selbst. Papa bleibt lieber in der Heide und wird Knecht bei einem Großbauern, wo er sich zu Tode schuftet. Grete und Marie verbringen ihren Lebensabend elend in einem Altenheim. Du kannst wenigstens zu Paul, und ich ziehe mit Hans-Dieter nach Lüneburg. Aber die Familie wird für immer zerbrochen sein, und nie mehr werden wir gemeinsam am Küchentisch sitzen und uns lieb haben.«
Für die Hälfte der Sippe, sich selbst eingeschlossen, sagte er immerhin eine angenehme Zukunft vorher. Wie tröstlich.
Sich lieb haben am Küchentisch? Da wurde gegessen, dem guten Heino gelauscht, gezankt und gesoffen. Im besten Fall normal miteinander geredet.
»Das ist doch alles ausgemachter Blödsinn!«, rief ich und setzte mich kerzengerade hin. »Erstens ist der Hof frei von Hypotheken, und wir haben überhaupt keine Veranlassung zu verkaufen. Zweitens könnte Irene bestimmt hundert schönere Fleckchen für ein Luxushotel in der Lüneburger Heide finden.«
»Vielleicht ist das Hotel nur ein Vorwand«, fabulierte Jan prompt weiter. »In Wahrheit hat sie von Ingenieuren ein geheimes Gutachten erstellen lassen, und unter unserem Land befindet sich ein immenses Ölreservoir. Das will sie sich unter den Nagel reißen.«
Wow! Dallas in Nordergellersen. An meinem Bruder war eindeutig ein Krimiautor verloren gegangen.
Ich stieß ein Knurren aus und hörte mich zu meinem eigenen Schrecken ein bisschen an wie Grete.
»Ach, hör schon auf. Öl hier bei uns. So ’n Quatsch.«
»Oder Wasser. Ein riesiger unterirdischer See, aus dem die Stadt Hamburg über Jahre hinaus mit Trinkwasser versorgt werden könnte. Das wäre ein Millionengeschäft.«
Nicht dumm, mein kleiner Bruder. Wasser war in der Lüneburger Heide tatsächlich äußerst wertvoll und mit einer durstigen Großstadt in der Nähe gleich doppelt begehrt.
Nur mit uns und unserer geheimnisvollen Besucherin hatte das nichts zu tun. War nur so ein Gefühl von mir, aber ein ziemlich sicheres. Irene plante keinen geschäftlichen Coup gegen uns. Irene war – nett.
Mal davon abgesehen, dass ein kluger Hund wie Rüdiger niemals eine knallharte Geschäftsfrau ohne Gewissen lieben würde. Der nicht!
Auf einmal kam mir ein ganz neuer Gedanke. Einer, der so verrückt war, dass ich ihn bestimmt nicht laut aussprechen würde. Nicht einmal Jan gegenüber!
»Bist du noch dran, Nele?«
»Ja, aber jetzt ist mal gut mit deinen wilden Spekulationen.«
»Man darf sich ja wohl noch Sorgen um seine Lieben machen«, kam es empört zurück.
»Die sind aber unnötig. Ich mag Irene eigentlich ganz gern, und Rüdiger sowieso. Vielleicht will sie wirklich nur ein wenig bei uns ausspannen.«
»Das werden wir erst erfahren, wenn es zu spät ist«, orakelte mein Bruder. »Es sei denn, du spionierst.«
Womit wir wieder bei diesem bekloppten Vorschlag angekommen waren.
»Was soll ich denn tun? Ihr Zimmer durchsuchen? Rüdiger unter Folter zum
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