Oma packt aus
ähnlich.«
Irene senkte den Blick.
»Geht es dir gut?«, fragte ich und suchte nach Anzeichen einer Vergiftung. Würgende Geräusche, blasse Haut, violette Lippen. Fand nichts dergleichen. Sie war nur ein bisschen rot geworden. Wieso eigentlich?
Mit einer Schlabberattacke lenkte Rüdiger meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Der hatte mein Versprechen nicht vergessen.
»Ist ja gut, Dicker. Ich gehe mal nachschauen, was ich finden kann.«
»Das ist doch nicht nötig«, meinte Irene. »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mit uns zusammen spazieren zu gehen.«
Schon wieder? Die war aber gut zu Fuß.
Mein Bauchgefühl sagte mir, ich sollte erst mal zur Ruhe kommen, also schüttelte ich freundlich den Kopf.
»Vielleicht später.«
Sie wirkte betrübt, nickte aber. »Dann laufe ich allein noch ein bisschen. Rüdiger, komm!«
Der dachte gar nicht daran. In seinen Augen blitzten Kuchenbilder auf.
»Lass ihn ruhig hier, wir verstehen uns prächtig.«
Irene verschwand in Richtung Baggersee, Rüdiger und ich machten uns auf den Weg ins Haus. Allerdings stoppte er auf der Schwelle ab. Kluger Hund. Lass dich lieber nicht von Grete in der Diele erwischen.
Ich ging in die Küche, fand weder Oma noch Großtante vor und musste nicht lange suchen. Auf dem Tisch stand ein großes Blech mit frisch gebackenem Butterkuchen zum Abkühlen.
Lecker!
Der war doch für mich, oder etwa nicht? Für Irene? Ach, Quatsch! Trotzdem, sicher ist sicher. Ich schnitt die Hälfte auf, packte die Stücke in den Brotkorb und nahm ihn mit nach draußen. Rüdiger folgte mir brav in den Stall. Dort ließ ich ihn probieren und wartete ab, ob er tot umfiel. Tat er nicht, und fünf Stücke waren schon weg. Also schob ich mir schnell den köstlichen noch warmen Kuchen in den Mund. Wir brauchten nicht lange, um alles wegzuputzen. Den Brotkorb brachte ich über die Leiter auf den Heuboden. Wenn er den auch fraß und ausspuckte, hatte er in Grete eine Feindin fürs Leben gefunden. Den hatte sie nämlich zur Hochzeit geschenkt bekommen.
Danach machten Rüdiger und ich es uns bei Ernie und Bert auf frischem Stroh gemütlich.
Mir war ein kleines bisschen schlecht.
Rüdiger ging’s aber gut. Also keine Vergiftung. Nur zu viel ofenwarmer Kuchen. Und der Hund vertrug mehr davon als ich.
Jetzt wollte ich aber endlich mal in Ruhe über alles nachdenken, auch über Irenes merkwürdige Reaktion auf meine Bemerkung über unseren Partnerlook.
Ich schlief bloß schon wieder ein.
Irgendwann später wurde ich von lauten Hilferufen geweckt.
10. High Noon auf dem Lüttjenshof
Die Stimme kannte ich.
Es war Jan, der da um Hilfe rief.
Ich befreite mich aus dem Stroh und lief hinaus. Als Erstes sah ich Rüdiger. Er lag unter der zerfledderten Hollywoodschaukel, auf der Großtante Marie im Sommer so gern saß, und gab mal wieder das unsichtbare Kalb. War aber trotzdem gut zu sehen, zumal die Schaukel ein bisschen wackelte. Er passte nicht ganz drunter.
»Nele!«, schrie Jan. »Bring dich in Sicherheit!«
Mein Bruder, der Held.
Er stand mitten auf dem Hof, hatte die Arme in die Luft gestreckt, fürchtete um sein Leben und dachte doch zuerst an seine große Schwester. Das würde ich ihm nie vergessen.
»Aus der Schusslinie!«, rief Irene.
Ich wirbelte herum und sah sie am Fenster ihres Zimmers stehen. Mit beiden Händen hielt sie eine Waffe, keine Ahnung, welches Kaliber. Woher sollte ich mich da auch auskennen? Vielleicht war’s auch ein Revolver.
High Noon auf dem Lüttjenshof.
Boah!
Nur die Uhrzeit stimmte nicht. Es war schon später Nachmittag. Bedenklich fand ich, dass der Lauf der Waffe direkt auf Jans Körpermitte zielte.
»Was soll das werden?«, fragte ich. »Willst du meinen Bruder kastrieren?«
Beim Wort kastrieren stieß Jan ein klägliches Wimmern aus.
»Er soll aus dem Weg gehen, damit ich die Ratte erwische.«
Ratte?
»Jetzt ist sie weg.«
Irene ließ die Waffe sinken, sicherte sie fachgerecht und legte sie irgendwo hinter sich ab. Mir kam der Gedanke, dass sie früher nicht nur in der Landjugend gewesen war. Auch im Schützenverein.
Jan sackte ein Stückchen in sich zusammen. Rüdiger kam zu ihm hin und schleckte ihn ab.
Die Hollywoodschaukel wippte heftig hin und her, bevor sie wieder zur Ruhe kam.
»Danke, Kumpel«, murmelte Jan.
»Bei uns gibt es keine Ratten«, erklärte ich Irene.
»Und ob! Die war groß und fett und hatte sich unter meinem Bett versteckt.«
Unter ihrem Bett? Igitt!
»Ich habe da aber keine
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