Oma packt aus
Augen.
Ich senkte den Blick. Nur zur Sicherheit.
Irene räusperte sich. »Er müsste jeden Moment hier sein. Ich bin Irene Wedekind, und das ist meine Tochter, Nele Lüttjens.«
Fühlte sich für mich immer noch merkwürdig an, dieses Familienverhältnis. Trotzdem lächelte ich.
Imperator I nickte, als wisse er über uns Bescheid. War ja keine Kunst. Klatsch verbreitete sich in Süditalien mit derselben rasanten Geschwindigkeit wie in der Lüneburger Heide. Das hatten wir ja schon bei unserer Ankunft erlebt.
»Sehr angenehm. Giovanni Occhipinti.«
»Federico Occhipinti«, sagte Imperator II.
Ich atmete auf. Verwandte. Möglicherweise meine Brüder. Die Gefahr war gebannt.
Ja, aber nur für wenige Sekunden.
»Wir sind die Söhne von Martino.«
Offenbar sollte uns dieser Name etwas sagen. Als wir nur ratlos schauten, klärte Giovanni uns auf. »Unser Vater entstammt einer entfernten Linie der Familie. Ich bin der Älteste, und Federico ist der Jüngste.«
»Wie weit entfernt?«, fragte ich mit Panik in der Stimme.
Er sah mich direkt an. »Unsere Ururgroßväter waren Cousins.«
Verflixt! Wir waren nur unwesentlich enger miteinander verwandt als Rüdiger mit Ernie und Bert.
»Aber unsere Familie macht gemeinsame Geschäfte. Deswegen sind wir heute auch aus Bari hergekommen. Seit drei Jahren leiten mein Bruder und ich die Firma, und wir haben einiges mit Marcello zu besprechen.«
Ich hielt die Luft an.
Geschäfte. Ja, klar.
Die exportierten wohl von Bari aus die durchsiebten Leichen, die Marcello hier im Hinterland sammelte.
Etwas von meinen Gedanken musste sich in meinem Mienenspiel abgezeichnet haben, denn nun musterte mich Federico alias Marcus Antonius gründlich.
»Alles in Ordnung?«
»Äh … sicher.« Ich stand auf.
Ein bisschen zu plötzlich. Mein rechter Fuß verfing sich im Perserteppich, und ich stürzte nach vorn, direkt in Federicos Arme.
Boah!
Der Mann roch gut. Nach Meer, sonnengereiften Tomaten und heißer Erde.
Kein bisschen nach Leichen.
Seine Arme hielten mich sicher, sein Brustkorb war hart und weich zugleich.
Einladend.
Oh, ihr Götter, rettet mich!
Ich dachte an Paul. Ganz fest.
»Meine Tochter ist ein wenig tollpatschig«, erklärte Irene wie aus weiter Ferne. Ich linste zu ihr herüber. Sie lag zwar nicht in Giovannis Armen, stand aber plötzlich so dicht neben ihm, wie sie sich traute.
Tja, so eine Teppichkante musste man erst mal erwischen.
Paul ließ sich endlich in meinem Herzen blicken, und ich konnte mich von Federico befreien.
»Tut mir leid.«
»Mir nicht.« In seinen dunklen Augen stand ein Funkeln. »Ich fange dich gern noch öfter auf.«
Okay, ich lernte meine erste Lektion. Apulische Männer besaßen ein anderes Temperament als Lüneburger Anwälte. Und ich war mir nicht sicher, ob ich im Augenblick eher Süditalienerin oder Niedersächsin war.
»Wie ich sehe, habt ihr schon Bekanntschaft gemacht.«
Marcello war unbemerkt hereingekommen. Er grinste, als hätte er sich mit seiner Frau vorhin nur freundlich über das Wetter unterhalten.
Prügeln, fluchen und knutschen – alles eine Frage der Gewohnheit.
Sein Blick streifte kurz Federico und mich, dann blieb er etwas länger an Irene und Giovanni hängen, die noch immer sehr dicht beieinanderstanden.
Geradezu unschicklich.
Irene begegnete Marcellos Blick mit einem gewissen Trotz, Giovanni fühlte sich in ihrer Nähe ausgesprochen wohl. Ich sah, wie seine Hand unauffällig über ihren Rücken strich.
Der ging aber ran!
Marcello lächelte wehmütig, dann wandte er sich an die beiden Männer. »In einer halben Stunde gibt es Mittagessen. Wollt ihr vielleicht Irene einen Aperitivo anbieten? Ich habe noch etwas mit Nele zu besprechen.«
Hm. Hätte auch lieber was getrunken. Wieso fragte mal wieder niemand, was ich wollte?
Die beiden Brüder nickten und verließen zusammen mit Irene das kleine Kaminzimmer.
»Bitte, setz dich«, sagte Marcello und wies auf einen Sessel. Er ließ sich schwer in den anderen fallen.
Ich entdeckte ein paar Schrammen auf seinen runden Wangen.
Ah, l’Amore!
»Hat Anna sich wieder beruhigt?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
»Aber ja. Mach dir ihretwegen keine Sorgen. Sie ist ziemlich eifersüchtig. Auch auf meine lang zurückliegenden Beziehungen. Und sie will Haus und Hof zusammenhalten.«
»Das kann ich verstehen.«
Stimmte sogar. Ich würde den Lüttjenshof auch nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Verwandten teilen wollen.
Marcello verfiel in Schweigen und
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